120 - Schwur in der Opferhalle
neu eingekleidet in Olivaros Zimmer.
Swamis Anblick erinnerte mich unangenehm an die vor uns liegende Aufgabe. Für kurze Zeit hatte ich mich wie ein Tourist gefühlt, der tief beeindruckt von allem war, was er zu sehen bekam.
„Ich habe Hunger", stellte Coco fest. „Können wir das Essen aufs Zimmer bekommen, Swami?" „Selbstverständlich, Madam."
Er rief den Zimmerkellner, der uns eine umfangreiche Speisenkarte überreichte.
„Lassen Sie uns jetzt bitte allein, Swami", bat Coco.
Der Inder verbeugte sich und verließ das Zimmer. Sofort ging ich zum Telefon und meldete Gespräche nach London und Castillo Basajaun an.
Dann studierte ich die Karte, die für mich ein böhmisches Dorf war.
Mit Olivaros Hilfe stellten wir ein Menü zusammen.
Kurz bevor das Essen serviert wurde, bekam ich den Bescheid, daß es leider nicht möglich war, eine Verbindung mit England und Andorra herzustellen, da die Leitungen nach Europa unterbrochen waren. Das konnte stimmen, aber ich bezweifelte es. Wahrscheinlich hatte der Chakra nur wenig Interesse daran, daß wir uns mit unseren Freunden in Verbindung setzten.
Das Essen wurde serviert. Ich häufte mir eine Portion Murg ilaychi, Kardamom-Hähnchen, Puris und fritiertes Vollkornbrot auf den Teller und aß wie Coco mit Messer und Gabel, während Olivaro nach indischer Art aß - mit den Fingern.
Ich probierte die anderen Speisen, war aber nicht sonderlich begeistert davon. Aus der indischen Küche hatte ich mir noch nie viel gemacht. Ich dachte nach, während ich vom Sag und Pakki hui machli kostete und dem Bier reichlich zusprach.
„Ich bin dafür, daß wir uns diesen Swami ordentlich vornehmen", sagte Olivaro.
„Hast du die Tätowierung lesen können?"
„Er ist ein Prüfer", antwortete Olivaro.
„Prüfer?" fragte Coco verwundert.
„Er soll uns wahrscheinlich prüfen", meinte Olivaro. „Ich habe ja behauptet, daß wir auf der Seite meiner Artgenossen stehen. Swami soll wahrscheinlich prüfen, ob das stimmt."
„Ich bin dagegen, daß wir Swami auf den Zahn fühlen", meinte Coco. „Das würde nur den Chakra mißtrauisch machen. Zudem bin ich ziemlich sicher, daß uns Swami nicht weiterhelfen kann."
„Er könnte uns sagen, wo wir den Chakra finden können."
„Swami will uns morgen zu ihm führen", warf ich ein. „Ich stimme Coco zu. Wir sollten Swami in Ruhe lassen."
Olivaro hob resignierend die Schultern. „Ich bin also überstimmt", sagte er mißmutig. Er stand auf und ging zum Fenster.
Coco und ich wechselten einen raschen Blick.
Leise Musik ertönte. Olivaro öffnete das Fenster und blickte hinaus.
„Kommt und seht euch das an", sagte er.
Wir blieben neben Olivaro stehen und blickten über die breite Prachtstraße. Eine Gruppe Musikanten spielte auf altertümlichen Instrumenten wie Horn, Gong, Muschelhorn und Trommel. Um die Musikanten tanzten Clowns in Löwen- und Affenmasken. Hinter den Musikanten standen zwei prächtig geschmückte Elefanten. Die Sonne spiegelte sich in den goldenen Stirnplatten. Je ein Mann stand auf dem Rücken der mächtigen Tiere und schlug mit dem Mohair-Wedel den Takt zur dröhnenden Musik. Den Elefanten folgte ein gewaltiger Wagen, auf dem Süßigkeiten zu Türmen von mindestens zwei Metern gestapelt waren.
„Was ist das für ein Umzug?" fragte Coco.
„Es ist November", sagte Olivaro nachdenklich. „Da kann es sich nur um das Diwali-Fest handeln." „Was wird da gefeiert?" erkundigte ich mich.
„Diwali wird in ganz Indien gefeiert", erklärte Olivaro. „Hier kommt die Lebensfreude der Inder am stärksten zum Ausdruck. Es wird in der dunkelsten Nacht des Jahres gefeiert, wenn die Seelen der Toten zur Erde kommen und ihnen das Licht, das aus allen Gebäuden fällt, den Weg weist. Im ganzen Land werden in dieser Nacht alle Paläste, Holzhütten, Regierungsgebäude und Häuser hell erleuchtet. Die Inder schmücken ihre Gärten, Tore und Häuser mit kleinen Öllampen und Kerzen. Für viele Inder beginnt mit Diwali das neue Jahr der Hindus. Alle kaufen sich neue Kleidung, und man beschenkt sich gegenseitig."
Die Prozession war vorbeigezogen, und Olivaro schloß das Fenster.
Coco wollte sich unbedingt die Stadt ansehen. Ich schloß mich ihr an, während Olivaro im Hotel blieb.
Wir gingen in die Eingangshalle, wo uns Swami bereits erwartete. Als wir das Hotel verließen, wurde es rasch dunkel.
Zehn Minuten später waren tatsächlich alle Gebäude hell erleuchtet. Die Straßen waren voller fröhlicher Menschen. Überall
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