120 - Sterben in Berlin
beobachtete er, wie sie vor seinem Haus stehen blieb und die verzierten Fensterrahmen, die kleinen Türmchen und die vielen Figuren auf dem Dachrand betrachtete. Johaans Haus lag in der Nachbarschaft des königlichen Palastes. Er hatte es mit vielen schönen Dingen geschmückt, die er auf den Märkten von Beelinn und Pottsdam von Männern gekauft hatte, die in ausgedehnten Ruinenwäldern nach allem gruben, was ihnen wertvoll, brauchbar oder einfach nur originell erschien.
Die Verhandlung brachte erstaunlich schnell ein Ergebnis, das Johaan befriedigte. Und Siimn wohl auch, denn er lächelte milde und aß ungewöhnlich viel Gebäck. Sie schickten den Schreiber mit dem fertigen Text ins Haus, um ihn in Reinschrift zu bringen und davon zwei Exemplare anzufertigen. Die Königin und der Fürst würden letzte Korrekturen anordnen oder den Vertrag absegnen. Danach galt es nur noch ein Gipfeltreffen für die feierliche Unterzeichnung vorzubereiten.
»Ein denkwürdiger Tag«, sagte Siimn. »Ich freue mich, und ich möchte das Bündnis auch auf höherer diplomatischer Ebene festigen.« Johaan horchte auf. »Als Ausdruck meiner Anerkennung und meiner Wertschätzung, und nicht zuletzt als Zeichen meiner Dankbarkeit für die bevorstehenden Friedenszeiten zwischen Beelinn und Pottsdam möchte ich dir ein Geschenk machen, verehrter Johaan.«
»Oh!« Johaan glaubte nicht recht zu hören.
»Ich schenke dir meine Mätresse.« Siimn drehte sich im Rollstuhl herum und wies mit ausgestrecktem Arm auf die schöne Naura. Dreißig Schritte entfernt stand sie unter einem Girschbaum und probierte die schwarzen Früchte. »Ich bitte dich, schlage mir das Geschenk nicht ab.«
Johann war wie vor den Kopf gestoßen. Hatte er wirklich richtig gehört? Naura? Ein Geschenk? Sein Herz schlug schneller, die Stelle unter dem Brustbein brannte, und zugleich wachte sämtliches Misstrauen in ihm auf, zu dem er fähig war.
Es kostete Johaan all seine Selbstbeherrschung, um seine Gefühlsaufwallung vor dem anderen zu verbergen. »Nun, verehrter Siimn, ich bezweifle, dass diese Frau sich so einfach verschenken lässt«, entgegnete er kühl.
»Sie ist meine Sklavin. Es steht mir frei, mit ihr zu tun, was ich will. Und wenn ich sie dir geschenkt habe, steht es dir frei mit ihr zu tun, was du willst.« Siimn griff nach seinem Teebecher und musterte Johaan aus müden Augen. »Davon abgesehen hat sie den Wunsch geäußert, in einer anderen Siedlung zu leben. Pottsdam gefällt ihr nicht, und ich kann nicht mit ansehen, wie sie leidet.«
Johaan betrachtete die schöne Gestalt der Frau. Sie trug ein Hosenkleid aus dunkelrotem Samt. Ihre Haut schimmerte so rein wie die Haut eines neugeborenen Lupas. Ein schlichter Stirnreif mit einem Halbedelstein hielt ihr schwarzes Haar aus ihrer hohen Stirn. Natürlich war sie eine Spionin, da gab Johaan sich keiner Illusion hin. Siimn mochte alt und vielleicht auch krank sein – aber der listige Taktiker in ihm würde noch auf dem Sterbebett Intrigen spinnen.
Kein Problem. Johaan würde sie einfach bewachen lassen, sie würde Haus und Garten nicht verlassen dürfen, und er selbst würde sich selbstverständlich hüten, ihr irgendwelche Geheimnisse anzuvertrauen. Warum also nicht?
»Ich danke dir für dein großzügiges Geschenk, verehrter Siimn.« Er neigte den Kopf ein wenig. »Gern nehme ich es an.«
»Es ist mir eine Ehre. Solltest du sie irgendwann satt bekommen, schick sie einfach zurück.«
***
Braandburg, Ende Juni 2520
Ein Ausläufer des Gewitters hatte ihre Nachhut erwischt.
Der Doyzdogger wegen ließen die zehn Krieger ihre Frekkeuscher und Andronen im Wald landen, wo sie unter den dichten Buchenkronen Schutz vor Blitzen und Platzregen suchten. Rudgaar, dessen Frekkeuscher direkt hinter dem Fürsten flog, machte sich Sorgen. Seine Tiere reagierten empfindlich auf Gewitter. Selbst die beiden Rüden in den Käfigen rechts und links seines Sattels winselten nervös. Ihr Nacken- und Schwanzfell war gesträubt.
Die Hauptstreitmacht zog weiter nach Osten, bis sie nach zwei Tagen die äußersten Schutthalden und Trümmerfelder des alten Beelinn erreichten. An ihnen entlang flogen sie Richtung Norden und erreichten vor Sonnenuntergang des nächsten Tages die alte Haavlbrücke, wo Bolles Vater einst im Keller einer Ruine ein geheimes Jagdlager gebaut hatte.
Der Fürst ließ lagern und die Tiere versorgen. Die Krieger aßen Getreidefladen und Trockenfleisch, um keine feindlichen Kundschafter durch Rauch
Weitere Kostenlose Bücher