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120 - Sterben in Berlin

120 - Sterben in Berlin

Titel: 120 - Sterben in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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Bolle Karajan regelmäßig zu sehen.«
    »Was haltet Ihr von der Frau, meine Königin?«
    »Von welcher Frau sprichst du, Miouu?«
    »Von Siimns neuer Mätresse.«
    »Etwas ungewöhnlich, seine Geliebte zu politischen Verhandlungen mitzunehmen, aber wahrscheinlich dient sie ihm als Pflegerin und eine Art Sekretärin.« Jenny zuckte mit den Schultern. »Sie scheint mir ziemlich klug zu sein. Und schön ist sie obendrein. Dem alten Knochen sei es gegönnt.«
    »Sie hat die Pergamentrolle gestern Abend abgegeben.«
    »Bitte?« Jenny runzelte die Stirn.
    »Ihr habt richtig verstanden, meine Königin: Johaan hat sie als Botin geschickt.«
    »Aber Siimn ist doch am Abend nach seinem Besuch bei mir und Johaan nach Pottsdam zurückgekehrt?«
    »Das stimmt. Aber Naura blieb in Beelinn.« Jenny hob fragend die Brauen. »So heißt sie – Naura. Seit zwei Tagen lebt sie unter Johaans Dach. Man munkelt, sie sei jetzt seine Mätresse.«
    Jenny lachte laut auf. »Nicht zu fassen.« Sie schüttelte den Kopf. »Hat Meister Johaan auf seine alten Tage tatsächlich noch mal Feuer gefangen?«
    ***
    Noch war es dunkel, aber der Mond stand über der Stadt, und so konnte man die Umrisse der Wehrtürme und der Zinnen auf der Holzpalisade dennoch deutlich erkennen. Drei Speerwürfe Ackerland etwa lagen zwischen der Palisade und dem Waldrand, und fünfundvierzig schwer bewaffnete Krieger und vierzehn Doyzdogger lagen im Gestrüpp des Waldrands in Deckung. Sie rochen feuchte Erde und das junge Tofanenkraut, sie hörten einen Nachtvogel im Maiisfeld zirpen und die Blätter der noch niedrigen Maiisstauden in der ersten Morgenbrise rascheln.
    Rudgaar, der Hundemeister, ließ sich von jedem Hund Wange und Handrücken belecken, bevor er ihm die Schnauze zuband; und während er das tat, flüsterte er ihm unentwegt ins Ohr. Außer ihm, dem Meister, gab es nur noch zwei Hundsknechte im fürstlichen Heer, von denen die Tiere sich das gefallen ließen. Eine unerlässliche Maßnahme während der Minuten und Stunden vor einem unmittelbaren Angriff, denn die Doyzdogger mochten so groß und schwer sein wie sie wollten – sie waren empfindlich wie bleichsüchtige Jungfrauen: Sobald sie Spannung und Nervosität spürten, bellten sie. Sie winselten jetzt schon und tänzelten unruhig hin und her.
    Rudgaar drückte abwechselnd die vier Tiere an sich, die den Sonnenaufgang nicht mehr erleben würden. Wie immer fiel ihm der Abschied schwer. Während er Greif, seinem ältestem Rüden, das dichte fettige Halsfell kraulte, beobachtete er die Umrisse der nächtlichen Stadt. Kein Lichtschein war zu erkennen. Dennoch war klar, dass die Palisade mit mindestens einem Dutzend Braandburger Kriegern besetzt war. Und wenn man den fürstlichen Spionen trauen konnte, gehörte mindestens ein Krieger zu den Wachen, der für Pottsdam arbeitete. Ganz sicher war Rudgaar nicht, was er von der Information halten sollte.
    Der Hundemeister saß auf einem alten Ledersack voller Gegenstände, die kriegsentscheidend werden konnten an diesem Morgen. Hinter ihm, tief im Wald, hörte er Äste brechen und Laub rascheln. Einige Krieger suchten trockenes Geäst für die Reisighaufen zusammen.
    Wie ruhig sie dalag, die Stadt. Noch ahnte keiner ihrer Bewohner, dass Krieg und Tod vor ihren Toren lauerten.
    Natürlich kannte Rudgaar die Königssiedlung Braandburg.
    Zusammen mit dem Stammesfürsten von Pottsdam gehörte er an diesem Morgen zu den wenigen Kriegern, die Braandburg sogar schon von innen gesehen hatten. Rudgaar verkaufte seine Hunde in allen größeren Siedlungen zwischen den Seen im Norden, der Oda im Osten und der Elb im Westen und Süden.
    Die meisten jüngeren Krieger kannten die Siedlung nicht einmal von außen. Wer nicht vom Handel lebte oder nicht zu den wilden Waldstämmen gehörte, wie zum Beispiel Tilmo, Rudgaars Laufbote, vermied es in der Regel, sich allzu weit von seiner Siedlung zu entfernen. Viel zu gefährlich. Bestien und Riesen hausten in den ausgedehnten Ruinenwäldern, und eben jene Waldstämme, deren Angehörige in den Siedlungen als »Räuber« bezeichnet wurden.
    Die beiden Doyzdogger, deren Nacken Rudgaar gerade umarmte, spitzten die Ohren und spähten nach links in die Dunkelheit. Lautlos schob sich eine Gestalt heran.
    »Bald ist es so weit«, raunte die Stimme des Fürsten. »Bald werden unsere Frekkeuscherreiter über den Feldern Braandburgs auftauchen.« Bolle Karajan schlug seinem Hundemeister auf die Schulter. »Deine Zeit ist gekommen. Das Reich ist

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