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120 - Sterben in Berlin

120 - Sterben in Berlin

Titel: 120 - Sterben in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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Sonnenaufgang auf zehn Frekkeuschern losreiten. Sie hatte der Fürst als Speerspitze bei der Eroberung Braandburgs eingeplant. Ihr Angriff sollte den Untergang der Stadt einläuten.
    ***
    Jenny schreckte aus dem Schlaf hoch. Die Kleine neben ihr weinte. Sie griff nach ihrer winzigen feuchten Hand, beugte sich über sie, küsste und streichelte sie. »Alles ist gut, Anniemouse. Jennymom ist bei dir, schlaf weiter.« Die Kleine hörte auf zu wimmern, kuschelte sich an sie und steckte den Daumen in den Mund. Kurz darauf hörte Jenny ihre gleichmäßigen Atemzüge. Merkwürdig – in letzter Zeit weinte Ann öfter im Schlaf. Vielleicht kamen schon die ersten Backenzähne.
    Stockdunkel war es vor dem offenen Fenster. Jenny sah auf ihre Armbanduhr: kurz vor vier. Eine Solarzellenuhr.
    Zusammen mit ein paar Kleidungsstücken, einer automatischen Armeepistole, dem Feldstecher und einem Kampfmesser der US Air Force stellte die Uhr die letzte Verbindung in ihre Heimat und in ihre Zeit dar. Ihre Zeit war die Vergangenheit.
    Ihr Mann hatte ihr die Uhr zu Weihnachten geschenkt.
    Weihnachten 2010. Noch nicht mal sechs Jahre her. Und doch schon fast fünfhundertzehn Jahre. Seltsam, dass die Uhr noch immer funktionierte. Den Sturz durch den Zeitriss hatte sie genauso überstanden wie all die Kämpfe seitdem.
    Schlaflos und die Kleine im Arm lag Jenny da und starrte in das Halbdunkel ihres Schlafraumes. An der Wand neben der Tür brannte eine Fackel. Ihr fiel ein, dass da noch etwas war, das sie mit der alten Welt, der alten Zeit verband: der Vater ihrer Tochter. Wo mochte er stecken? Ob er überhaupt noch lebte?
    Sie dachte an Matthew Drax, an seinen letzten Besuch, an Ann und deren Fragen nach ihm, und sie dachte an die beunruhigenden Nachrichten, die er vom Kratersee mitgebracht hatte. Daa’muren nannten sich die Außerirdischen, die vor über fünfhundert Jahren mit dem Kometen auf die Erde gestürzt waren und angeblich den Planeten erobern wollten.
    Einmal bei Krieg und Eroberung angekommen, kreisten ihre Gedanken bald um das politische Tagesgeschäft: Um Pottsdams Feldzug gegen Braandburg, um den Besuch des Pottsdamer Botschafters und um Bolle Karajans Bündnisangebot. Nach einer Stunde fand sie sich damit ab, nicht mehr einschlafen zu können. Behutsam löste sie sich von ihrer schlafenden Tochter und stand auf.
    Die Umrisse einer schmalen Gestalt lösten sich aus dem Halbdunkel, während Jenny sich ankleidete. Lautlos näherte sich eine Frau, die ihren nackten Körper in eine Decke gewickelt hatte. Jenny registrierte sie nur beiläufig, jedenfalls ohne Verwunderung oder gar Schrecken. Es war Miouu, die schöne junge Miouu, ihre Leibwächterin. Niemals wich sie von ihrer Seite, auch nachts schlief sie nur wenige Schritte entfernt.
    Eine schmale Gestalt, die sich lautlos wie eine Katze nähert, die auftauchte wie aus dem Nichts – Jenny war daran gewöhnt.
    »Ihr steht schon auf, meine Königin?«, flüsterte Miouu.
    »Ich kann nicht mehr schlafen, also stehe ich auf und mache mich an die Arbeit.«
    Mioux verschwamm wieder mit den Schatten. Leder und Stoff raschelten in der Nische, in der ihr Bett stand. Bewaffnet, mit ihrem Lederharnisch bekleidet und in einen schwarzen Umhang gehüllt folgte sie Jenny ein paar Minuten später aus dem Schlafraum. Es wäre sinnlos gewesen, Miouu zurück ins Bett schicken zu wollen. Früher hatte Jenny bei solchen Gelegenheit noch versucht das Mädchen zu überreden – »Schlaf doch weiter, ich bin gleich nebenan«, – inzwischen kannte sie Miouu: Die rätselhafte Amazone nahm ihren Job verdammt ernst.
    Im noch größeren Nebenraum steckte Jenny die Fackel in eine Wandhalterung über dem klobigen Tisch, der ihr als Schreibtisch diente. Sie entdeckte eine Pergamentrolle darauf, die sie gestern Abend, vor dem Schlafengehen, noch nicht dort gesehen hatte. »Was ist das?«
    »Meister Johaan hat den Entwurf für den Bündnisvertrag mit Pottsdam geschickt. Ihr hattet Euch schon mit Anniemouse zurückgezogen.«
    »Das ging ja flott.« Jenny ließ sich auf dem fellbespannten Sessel vor dem Tisch nieder, rollte das Dokument auseinander und las es aufmerksam. »Nichtangriffspakt, Austausch von Kundschafter-Erkenntnissen, Einrichtung von Botschaften, verstärkter Handel und regelmäßige Treffen auf höchster Ebene.« Sie ließ die Rolle sinken und grinste Miouu an, die an der Schmalseite des Tisches stand und sie beobachtete. »Nicht schlecht. Nur der letzte Punkt passt mir nicht. Ich habe keine Lust,

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