1201 - Die Windjäger
größten Teil des Komplexes überzogen haben und uns Deckung geben. Aber auch wir würden dann nicht viel sehen können.
»Ich riskiere es!«
Maxine sah mich bestürzt an, während Suko nur mit den Schultern zuckte. Bevor einer der beiden etwas sagen konnte, übernahm ich wieder das Wort.
»Ihr könnt es auf dem normalen und offiziellen Weg versuchen.«
»Toll«, sagte Maxine. »Kannst du auch sagen, was wir mit Rosy Mills machen sollen?«
»Sie muss sich im Wald verstecken«, schlug Carlotta vor.
»Sie wo llte ja mit.«
Rosy gab keinen Kommentar und senkte nur den Kopf.
Wir konnten es drehen und wenden, wie wir wollten, einen idealen Plan gab es nicht. Es war trotz allem gut gewesen, hier auf der Höhe anzuhalten, um uns einen Überblick zu verschaffen. In den Komplex hineinkommen, konnten wir nur auf dem offiziellen Weg.
Ich wandte mich wieder an Carlotta. »Würde uns der Professor denn empfangen? Was meinst du?«
»Ja. Oder vielleicht.«
»In seinem…«
Sie ließ mich nicht zu Ende sprechen. »Nein, nicht in seiner eigentlichen Welt. Die ist für Fremde tabu. Damit müsst ihr schon rechnen. Da ist dann eine Grenze.«
»Also werden wir es offiziell und inoffiziell versuchen.«
Suko und ich sprachen darüber, wie es eventuell weiterlaufen würde. Wir waren beide der Meinung, dass unsere Gegner wohl nicht damit rechneten, uns so schnell in der Höhle des Löwen zu sehen. Außerdem musste der normale Tagesbetrieb weiterlaufen. Wir wussten noch nicht, was genau in den flachen Hallen und Labors hergestellt wurde, aber das war im Moment unwichtig. Der versteckte Teil musste endlich aufgeräumt werden.
»Du kannst dich ruhig an meinen Schultern festklammern, John, sie sind stark genug.«
»Das werde ich auch machen.«
Als ich auf Carlotta zuging, war plötzlich Maxine neben mir.
»Willst du es dir nicht noch mal überlegen?«
»Nein. Wir müssen was riskieren, Max.«
Sie nickte nur und drehte sich weg. Beim Gehen sagte sie:
»Dann hoffe ich, dass wir uns später treffen.«
»Möglicherweise noch bevor ihr in das Gelände gefahren seid. Unser Weg ist kürzer.«
Sie sagte nichts mehr. Sie hatte Angst um uns. Wohl fühlte ich mich ebenfalls nicht, aber wir konnten nicht ewig hier oben stehen bleiben und warten, dass ein Wunder geschah.
Außerdem war Carlotta nicht das einzige Kind, das man dort gentechnisch manipuliert hatte. Sie war vielleicht am weitesten fortgeschritten und ein Prototyp, aber ich stellte mir vor, dass dieser Professor noch andere Kinder in seine Gewalt gebracht hatte und mit ihnen experimentierte.
Das Mädchen hatte sich eine günstige Stelle ausgesucht.
Zwischen zwei Kiefern war der Platz breit genug. An dieser Stelle ragte der blanke Fels aus der Erde.
Carlotta beugte sich nach vorn. Sie war kleiner als ich, aber verdammt kräftig.
»Denk nur an meine Flügel, die muss ich bewegen, John.«
»Alles klar.« Ich dachte daran, dass es nicht mein erster Flug auf dem Rücken einer Person war. Da brauchte ich nur an den Eisernen Engel zu denken, auf dessen Körper ich so manchen Flug hinter mich gebracht hatte.
Ich klammerte mich an Carlotta fest. Sie bewegte probehalber ihre Flügel. Das weiche Gefieder streifte an zwei Seiten mein Gesicht. Eigentlich ist es Wahnsinn, was du tust, Sinclair, dachte ich noch, und dann ging das Mädchen einen Schritt vor.
Direkt hinein ins Leere!
Mein Herzschlag zuckte. Für einen Moment hatte ich Angst davor, in die Tiefe zu stürzen und auf den harten Steinen zu zerschellen, dann aber bewegten sich rechts und links von mir die Flügel, und plötzlich war alles anders…
***
Wunderbar!
Es war einfach herrlich, nachdem ich mich daran gewöhnt hatte, durch die Luft zu schweben. Ich hörte Carlotta lachen, der es wahnsinnigen Spaß machte, obwohl sie mein Gewicht auf ihrem Rücken spürte. Sie war in ihrem Element. Sie musste einfach fliegen so wie ein Fisch durch das Wasser schwimmt.
Wer sie so erlebte, der konnte den Eindruck gewinnen, dass sie dem Professor eigentlich dankbar sein musste, dass er bei ihr für diesen Zustand gesorgt hatte.
Sie genoss es.
Sie genoss den Wind, die Gerüche, sogar die Kälte, aber sie hatte ihren eigenen Kopf und wollte hinfliegen, wo sie es für richtig hielt.
Mit mir auf dem Rücken drehte sie sich, sodass wir jetzt wieder dorthin segelten, wo drei Menschen standen und uns beobachteten. »Es klappt!«, rief Carlotta ihnen zu. »Seht doch, es klappt. Es ist einfach wunderbar. Ich bin so stark. Ich bin
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