1226 - Das Versteck
tun…«
»Es ist Mord!«, flüsterte Rhonda.
»Notwehr!«
»Glaubst du das?«
»Ja, verdammt, das glaube ich. Es ist Notwehr. Nur so geht es, verstehst du das?«
»Nein, Dennis, das verstehe ich nicht. Es tut mir Leid. Soweit reicht meine Fantasie nicht. Ich weiß nur, dass etwas Schreckliches in dem verdammten Versteck haust. Ich bin ihm nur im allerletzten Augenblick entkommen und habe es auch nicht richtig sehen können, aber es muss grauenhaft sein. Ich habe nie an Kannibalen geglaubt, aber jetzt weiß ich, dass es sie gibt. Himmel, Dennis, du bist noch so jung. Tu dir den Gefallen und verlasse diese Gegend. Lauf einfach fort. Such dir eine Chance. Vielleicht kann ich dir dabei helfen, denn ich habe gute Beziehungen. Wirf dein Leben nicht so weg.«
»Du willst mir helfen?«
»Ja, ich verspreche…«
»Tote können nichts mehr versprechen. Du wirst nicht mehr lange atmen. Ich passe nur auf, dass du nicht verschwindest. In einer halben Stunde bist du wieder im Loch.« Er lachte plötzlich, und dieses Lachen machte ihn wieder zum Kind.
Genau das begriff Rhonda White nicht. Es wollte ihr einfach nicht in den Kopf, dass ein so junger Mensch schon so verdorben sein konnte. Aber sie gab ihm nicht die Schuld, sondern den Erwachsenen, bei denen er aufgewachsen war. Sie hatten ihn erzogen, ihn aufwachsen sehen und ihn entsprechend geimpft.
Rhonda schüttelte den Kopf.
»Was ist?«
»Ich habe Mitleid mit dir, Dennis. Ja, echtes Mitleid. Du bist nicht so, man hat dich so gemacht. Wahrscheinlich will man einen Erben haben, aber das ist wohl der falsche Weg.«
»Ich mag dieses Leben aber!«, schrie er Rhonda an. »Verdammt noch mal, tu nicht so wie eine Lehrerin!«
»Kennst du die überhaupt?«
»Nein.«
»Aber du kannst Lesen und Schreiben?«
»Ja, das haben mir meine Ta nte und mein Vater beigebracht. Ich brauchte nicht in die Schule zu gehen.«
»Wärst du mal«, sagte Rhonda. Sie änderte ihre Blickrichtung und versuchte, an dem Jungen vorbeizuschauen, ohne dass es ihm auffiel, denn sie dachte an Sinclairs Plan.
Dennis verzog das Gesicht. »Keiner wird dich retten!«, spie er Rhonda förmlich an. »Keiner. Auch der Typ nicht, der losgegangen ist, um Hilfe zu holen.« Er lachte. »Hilfe will er holen! Wo denn, verdammt? Wo soll ein Arzt herkommen?«
»Er wird es schaffen, Dennis.«
»Nein, nie!«
»Doch!«
Rhonda blieb hart, und das hatte seinen Grund, denn jetzt sah sie, dass John Sinclair tatsächlich nicht verschwunden war und sich aus seiner Deckung gelöst hatte. Mit zügigen, aber nicht zu überhastet gesetzten Schritten kam er näher. Den Blick hielt er dabei auf den Rücken des Jungen gerichtet, der ihn noch nicht gehört hatte und sich darüber aufregte, dass Rhonda bei ihrer Meinung blieb.
»Keiner schafft es, wenn wir nicht wollen. Keiner. Hier haben wir das Sagen!«
»Aber nicht mehr lange!«
***
Plötzlich erstarrte der Junge, nachdem er meine Bemerkung gehört hatte. So wie er musste jemand fühlen, für den eine Welt zusammenbricht. Er konnte nichts mehr sagen, zumindest kein verständliches Wort. Dafür verließ ein Krächzen oder Stöhnen seinen Mund, und auch jetzt drehte er sich nicht um.
Ich tippte ihm auf die Schulter. »Die Zeit der Plummers ist abgelaufen, Dennis. Sieh das ein!«
Plötzlich zitterte er. Dann schrie er auf und fuhr auf der Stelle herum. Ich sah plötzlich einen Menschen vor mir, der nur noch aus Hass bestand. Er strahlte mir aus den Augen entgegen, die weit aufgerissen waren, und aus seinem Mund strömte mir das Keuchen entgegen.
Er drehte durch. Vielleicht hatte er erkannt, dass er so nicht weiterkam, jedenfalls wollte er mich aus dem Weg räumen. Für sein Alter war er recht groß und auch entsprechend kräftig. Der heimtückische Schlag in den Unterleib hätte mich schon in Schwierigkeiten gebracht, aber ich war schneller als seine Faust und wich mit einer Drehbewegung aus.
Noch immer schreiend stolperte er nach vorn, fiel über mein ausgestrecktes Bein und landete im Gras. Nur aufgeben wollte er nicht. Er sprang auf.
Ich traf besser.
Vielleicht hatte er noch nie in seinem Leben eine Ohrfeige bekommen, jetzt bekam er sie. Und zwar so voll, dass er ihr nicht mehr ausweichen konnte. Nicht nur der Kopf flog zur Seite, Dennis selbst fiel von der Wucht ebenfalls zu Boden und blieb im Gras liegen. Er kam mir vor wie jemand, der einen Schlag mit dem Elektroschocker bekommen hatte.
»Reicht das?«, fragte ich.
Dennis gab mir keine Antwort. Er jammerte vor
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