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1227 - Verschollen im Mittelalter

1227 - Verschollen im Mittelalter

Titel: 1227 - Verschollen im Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Smith
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konnte.
    Nun ja, zumindest in ihren Interessen unterschieden sich die Internatsschüler von ihren Altersgenossen anderswo. Neben fraktaler Geometrie und Astrophysik bot Burg Rosenstoltz eine ganze Reihe weiterer Fächer, die an herkömmlichen Schulen eher selten Eingang in die Unterrichtspläne finden. So konnten Nelson und seine Mitschüler Sprachen wie Arabisch, Persisch und Sanskrit erlernen, sich mit Ägyptologie oder Byzantinistik befassen, in die Gedankenwelten von Philosophen wie Kierkegaard, Nietzsche oder Heidegger eintauchen, komponieren, Hochhäuser planen und Versepen verfassen oder eine neue Ethik in der Medizin entwerfen, die den Errungenschaften der Molekulargenetik Rechnung trug. Im Internat Burg Rosenstoltz gab es kaum Pflichtfächer – unterrichtet wurde nach Interesse. Der Stundenplan wechselte alle drei Monate – denn länger brauchten die meisten Schüler nicht um den neuen Stoff zu erfassen.
     
     
    »Zu theoretisch«, wiederholte Judith spitz, »und was ist mit gekrümmter Raumzeit, Schwarzen Löchern und Quantenschaum? Wo siehst du da den Praxisbezug?«
    Nelsons Schuhband schien sich immer wieder zu lösen.
    Er hüstelte. Überlegte. Klar, wenn er gewollt hätte, wäre jetzt eine heiße Diskussion entbrannt. Schließlich hatte er sich mit dem Thema Zeitreise so intensiv befasst wie wahrscheinlich nur wenige Menschen auf der Welt. Aufbauend auf den Arbeiten von Newton, Einstein und Hawking hatte er eine Theorie entwickelt, deren praktische Umsetzung unmittelbar bevorstand.
    Doch er zog es vor, zu schweigen. Er verspürte keine Lust, gegen Judith anzutreten. Nicht hier und nicht jetzt. Sie würde ihn natürlich für verrückt erklären. Wie alle anderen. Zeitreisen galten auch unter intelligenten Menschen als Humbug – jenseits jeder Vorstellungskraft und jeder Möglichkeit zur Realisation. Sie hatten es ja vorhin erst erlebt: Selbst Professor Winkeleisen verwies Zeitreisen ins Reich der Fantasie. Bis zum endgültigen Beweis hieß es, sich in Geduld zu üben.
    »Und wie lange bist du schon hier?«, fragte er und hoffte, dass Judith auf sein kleines Ablenkungsmanöver eingehen würde.
    »Seit hundert Jahren. Ich darf wohl behaupten, dass ich zu den Gründungsmüttern unserer ehrwürdigen Anstalt zähle.« Judith klimperte mit den Lidern. »Meine Eltern konnten mich gar nicht früh genug loswerden, als sie vor drei Jahren erfuhren, dass einige Professoren und Profiteure die geniale Idee hatten, ein Heim für kleine Klugscheißer zu gründen, um deren geplagte Mütter und Väter künftig vor nie enden wollenden Fragen und nervtötenden Diskussionen zu bewahren. Ihre pubertierenden Hirnmonster sperrte man auf Burg Frankenstein, eine als Bildungseinrichtung getarnte Irrenanstalt.«
    Nelson sah sie an. Ihre Worte klangen zwar lustig, ihre Stimme aber nicht.
    Judith fing seinen Blick auf und zwang sich zu einem Lächeln. »Vergiss es«, sagte sie leise. »Wäre einfach nett gewesen, wenn sie mir wenigstens zum Geburtstag eine Karte geschickt hätten. Aber selbst das bringen meine Alten nicht fertig.«
    »Hast du heute…?«, fragte Nelson.
    Judith nickte.
    »Herzlichen Glückwunsch«, sagte er und war sich im selben Augenblick bewusst, wie lahm das klang.
    »Lass stecken«, antwortete Judith und setzte wieder ihr spöttisches Grinsen auf. »Wer ist eigentlich auf die Idee gekommen, dir diesen bescheuerten Namen zu verpassen, Lord Nelson?«
    »Mein Vater. Ist ein Bewunderer Nelson Mandelas. Du weißt schon, der Expräsident von Südafrika.«
    »Ah ja? Ich dachte, da will jemand an die Schlacht von Trafalgar erinnern, an Lord Nelson. Du weißt schon, der Kriegsadmiral.«
    In diesem Moment erklang aus den Lautsprechern an der Decke wieder die Ouvertüre zu Beethovens Neunter.
    Judith stöhnte. »Du könntest mich tragen«, sagte sie und verzog das Gesicht. »Ich hab doch Geburtstag.«
    Gemeinsam schlenderten sie zurück ins Klassenzimmer, wo gerade eine Kreideschlacht tobte. Ein Stück sauste haarscharf an ihnen vorbei. »Werden die denn nie erwachsen?«, zischte Judith und bedachte einen der Kontrahenten mit einem ätzenden Blick.
    Wenig später kehrte auch Professor Winkeleisen zurück. Statt seiner braunen Cordhose trug er jetzt einen Jogginganzug – ein Hinweis darauf, dass Nelson mit seiner Vermutung, ihr Lehrer werde die kurze Unterbrechung zu einer Yoga-Session nutzen, richtig gelegen hatte.
    »Wir waren, wenn ich mich recht erinnere, bei der theoretischen Erörterung einer Reise durch die

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