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1227 - Verschollen im Mittelalter

1227 - Verschollen im Mittelalter

Titel: 1227 - Verschollen im Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Smith
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irgend so ein pickeliges Muttersöhnchen wäre…
    Das erste Mal, Nelson erinnerte sich daran noch ziemlich genau, war er rot angelaufen, als ihn seine Eltern zu diesem durchgeknallten Psychologen geschleppt hatten. Sie waren beunruhigt gewesen, weil der Sohn den Vater auf einige Rechtschreibfehler im Handbuch für Botschaftsangehörige hingewiesen hatte.
    Nelson war drei gewesen – und das Handbuch auf Englisch.
    Der Psychologe hatte ihm eine Reihe von Tests vorgelegt und nach Auswertung derselben immer wieder den Kopf geschüttelt, sodass Nelson schon gefürchtet hatte, der arme Mann sei plötzlich an Parkinson erkrankt. »Das kann nicht sein«, hatte er immer wieder gemurmelt und Nelson anschließend weitere Aufgaben lösen lassen, nur um am Ende wieder mit dem Kopfschütteln anzufangen und Nelsons Eltern fassungslos mitzuteilen, dass ihr Sohn anders sei als normale Dreijährige, wobei er ihnen – nebenbei gesagt – kein Geheimnis offenbarte. Seine aufgeregte Mutter musste mehrmals nachhaken, bis der Psychologe endlich stillhielt und sie mit einem seltsamen Glanz in den Augen fixierte. »Das ist unglaublich«, flüsterte er ehrfürchtig, »einfach unglaublich! 184, hundert-vier-und-achtzig, das ist mir in den ganzen vierundzwanzig Jahren meiner beruflichen Praxis noch nicht untergekommen – 184 – wissen Sie, dass Einstein, der große Einstein, einen IQ von 172 besaß, wissen Sie das?«
    Nelsons Eltern hatten das nicht gewusst. Jetzt, da sie es erfuhren, rissen sie die Augen auf und erbleichten. Und Nelson, als wollte er neue Farbe in ihre Gesichter zaubern, wurde mit einem Mal feuerrot. Das erste Mal in seinem dreijährigen Leben. Ein erstes Mal, dem allzu viele weitere Male folgen sollten.
    Fortan hatte Nelsons Vater einen Privatlehrer nach dem anderen engagiert, um den unendlichen Wissensdurst seines Sohnes zu stillen. Doch etliche dieser gebildeten Damen und Herren, die den Botschafter und seine Familie in den vergangenen neun Jahren bis in die hintersten Winkel der Welt begleitet hatten, gaben entnervt auf – was einerseits an Nelsons ständigen Fragen, andererseits aber auch an den Strapazen eines Lebens im Ausland lag.
    »Als Diplomat bist du eine Flaschenpost«, pflegte sein Vater zu sagen, »du weißt nie, wohin es dich verschlägt und wer dich bekommt.«
    Schließlich hatte es sie zurück in ihre Heimat verschlagen – und endlich durfte Nelson auch den letzten Privatlehrer in die Wüste schicken, um auf eine echte Schule zu gehen. Denn danach hatte er sich immer gesehnt: eine normale Schule mit Kindern, die durcheinander redeten, ohne Grund loskicherten, wie blöde einander jagten, Lehrer ärgerten und auf der Toilette Kippen rauchten!
    Wenn er an seinen Privatunterricht zurückdachte, dann war da immer diese Stille – ein kleiner Raum, ein Tisch, zwei Stühle, Massen von Büchern, darin nur er und sein Lehrer, eine Atmosphäre wie im Kloster, konzentriert und unlustig, sechs Tage die Woche über all die Jahre. Er hatte ferne Länder gesehen, schon, fremde Kulturen kennen gelernt, Eindrücke und Erfahrungen gesammelt wie andere ein ganzes Leben lang nicht. Aber glücklich war er dabei nicht gewesen. Zu jenem Glück, nach dem er sich sehnte, gehörten Freunde. Solche, die auch am nächsten Tag noch da waren. Nicht solche, von denen er sich nach einem Jahr wieder verabschieden musste.
    Daher hatte er gejubelt, als ihm seine Eltern vor wenigen Monaten eröffnet hatten, dass sie ihn auf ein Internat geben würden, da herkömmliche Schulen seine Fähigkeiten nicht in angemessener Weise würden fördern können. Denn ein Internat entließ seine Schüler nur in den Ferien nach Hause: Nelson hatte sechs Schuljahre in einer echten Klasse verpasst und freute sich jetzt darauf, auch die Wochenenden in der Schule zu verbringen.
    Das Internat Burg Rosenstoltz war »eine Privatschule für Kinder und Jugendliche mit außergewöhnlichen Begabungen und Fähigkeiten«, wie es in der schuleigenen Satzung hieß. Die Leute in der Gegend blickten mit Misstrauen hinauf zur Burg, auf der sie nur Spinner vermuteten und die sie abfällig »Geniefabrik«, »Burg Frankenstein« oder »Schloss Wundersam« nannten. Völlig zu Unrecht, wie Nelson schon nach wenigen Tagen feststellen durfte. Denn die meisten jener Schüler, die das Internat besuchten, empfanden sich selbst weder als Genie, noch glichen sie Psychos, und an Wunder glaubte schon gar keiner. Man war so normal, wie man in einer Welt wie der gegenwärtigen nur sein

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