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1227 - Verschollen im Mittelalter

1227 - Verschollen im Mittelalter

Titel: 1227 - Verschollen im Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Smith
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Professor Winkeleisen stand neben ihm und lächelte ihn an. »Und, Nelson, wollen Sie nicht in die Pause?«
    Erschrocken blickte sich Nelson um und stellte fest, dass das Klassenzimmer bis auf seinen Lehrer und ihn leer war.
    »Sie erinnern mich an einen meiner ehemaligen Schüler«, bemerkte Professor Winkeleisen beiläufig. »Er war wie Sie. Hin und wieder tauchte er einfach ab und niemand konnte ihm folgen. Hoch intelligent und hoch sensibel. So alt wie Sie. Interessierte sich ganz besonders für die Zeit oder besser für die Überwindung derselben. Stand eines Tages mitten im Unterricht auf und behauptete, dass Zeitreisen möglich seien. Stellen Sie sich das einmal vor!«
    Nelson horchte auf. »Dass Zeitreisen möglich seien?«
    »Ja doch! In die Zukunft genauso wie in die Vergangenheit! Von diesem Gedanken schien er wie besessen. Paradoxa haben ihn nicht interessiert. Auch Energieprobleme schien es für ihn nicht zu geben. Immerzu sprach er vom Licht. Das Licht sei der Schlüssel, mit dem man das Buch der Geschichte öffnen und darin eintreten könne. Levent war sehr poetisch, müssen Sie wissen. Seine Mitschüler haben ihn natürlich ausgelacht, das können Sie sich ja vorstellen. Und was macht er? Packt eines Tages seine Schultasche und geht. Mitten im Unterricht! Am nächsten Morgen dann…«, Professor Winkeleisen schnippte in die Luft, »… ist er verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt! Die Polizei sucht jeden Winkel der Burg ab, befragt jeden Schüler, jeden Lehrer. Doch niemand hat Levent gesehen. Niemand irgendetwas Ungewöhnliches bemerkt. Tage vergehen, ja, Wochen, in denen die Angst wächst und die Hoffnung schwindet. Levent ist Waise, müssen Sie wissen. Und die einzigen Verwandten, die die Polizei seinerzeit ausfindig machen konnte, hatten ihn noch nie im Leben gesehen.« Er seufzte. »Was soll ich sagen: Levent blieb verschwunden – bis heute. Zwei Jahre ist das jetzt her. Einige glauben, dass er einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Andere, dass er sich womöglich etwas angetan hat. Gott bewahre!« Professor Winkeleisen schüttelte sich. »Wenn da nicht dieser seltsame Hinweis gewesen wäre…«
    »Welcher Hinweis?«
    Sein Lehrer blickte durch ihn hindurch. »In einem seiner Schulhefte«, erklärte er leise, »fand sich eine Notiz. Sie ist oft zitiert worden, weshalb ich mich an ihren Wortlaut noch genau erinnern kann: ›Sollte ich jemals zurückkehren, werde ich jünger als ein Säugling sein und älter als ein Greis.‹ Merkwürdig, nicht?«

3
     
     
     
    Ein, aus. Ein, aus. Ein… Atme, verdammt, atme! Solange er atmete, lebte er.
    Er versuchte sich darauf zu konzentrieren – ein, aus, ein, aus –, gegen die Angst zu atmen, die auf seine Brust drückte, schwer wie ein Block aus Blei.
    Irgendetwas kroch über sein Bein. Vielleicht eine Ratte, dachte er, aber dieser Gedanke schreckte ihn nicht – im Gegenteil – , eine Ratte war ein lebendiges Wesen inmitten dieser Nacht aus Tod und Verwesung.
    Der Gestank war atemberaubend. Es roch nach faulem Fleisch, nach Exkrementen und erbrochener Galle. Manchmal glaubte er, an dem Gestank ersticken zu müssen. Aber anscheinend gab es in dieser fäulnisgeschwängerten Luft noch einen Rest Sauerstoff, der ihn am Leben hielt.
    Wenn er sich doch wenigstens die Nase verstopfen könnte! Aber daran war nicht zu denken. Sie hatten es nicht dabei belassen, ihn am Bein festzuketten, sondern ihm auch die Arme auf den Rücken gebunden, sodass er sich noch nicht einmal kratzen konnte.
    Das Schlimmste jedoch in diesem stinkenden, feuchten Loch war die Finsternis. Er hatte nicht gewusst, dass es auf der Welt so dunkel sein konnte! Kein Schimmer drang in dieses unterirdische Verlies, nicht ein Hauch von Licht. Er hätte seine Hand auch dann nicht gesehen, wenn er sie ganz nah ans Auge gehalten hätte. (Abgesehen davon, dass er sie nicht bewegen konnte.)
    Das Einzige, was er außer dem Gestank wahrnahm, war von Zeit zu Zeit ein leises Wimmern. Es wehte von weit her an sein Ohr. So erschien es ihm. Nur einmal war er plötzlich überzeugt gewesen, dass das Wimmern ganz nah war, dass jene Kreatur, die in ihrem Schmerz nicht an sich halten konnte, in einem angrenzenden Kerker lag, wie er selbst festgekettet an einem Eisenring im nackten Fels.
    Hatte man sie geschlagen? Oder gefoltert? Ließ man sie qualvoll verdursten? Sie weinte wie ein wundes Kind und ihr Leid ließ ihn sein eigenes nur umso schlechter ertragen.
    Er hatte jegliches Gefühl für Zeit verloren.

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