1230 - Der Traumdieb
Sorge, ich komme.« Dann sagte Sheila etwas, worüber sie selbst nicht glücklich war, doch es blieb ihr keine andere Wahl. »Und bring bitte deine Waffe mit, Bill, bitte…«
»Was sagst du da? Warum soll ich…«
»Ich weiß nicht. Ich fühle mich sicherer.«
Jetzt war Bill alarmiert. »Was ist denn los, Sheila? Geht es dir gut?«
»Ja, mir geht es gut. Mir ist auch nichts passiert, aber komm bitte schnell.«
»Okay.« Sheila Conolly war froh, dass ihr Mann jetzt Bescheid wusste. Mit ihm an der Seite fühlte sie sich sicherer, auch wenn die Schreie nicht mehr zu hören waren.
Sie blieb am Tor stehen, während sie auf ihren Mann wartete und schaute sich so gut wie möglich um. In dieser Straße passierte nichts. Es war einfach zu spät. Die Menschen lagen längst in den Betten, und auch die Zeit der Gartenfeten war vorbei, da sich der Sommer verabschiedet hatte. So war die Stille präsent, und wenn noch Autos hierher fuhren, dann konnte man sie an einer Hand abzählen.
»Warum habe nur ich die Schreie gehört?«, flüsterte sie vor sich hin. »Sie waren doch laut genug, um andere Menschen aus dem Schlaf zu reißen. Warum hat keiner sein Haus verlassen?«
Sie fand keine Antworten auf ihre Fragen. Sie hätte auch ins Haus gehen und die Schreie vergessen können. Das genau wollte sie nicht. Das ging gegen ihre Natur. Sie gehörte einfach zu den Menschen, die zu engagiert waren, um so etwas auf sich beruhen zu lassen. Sie war eine Frau, die helfen wollte und die auch nachforschte, um Gründe zu finden.
Die Kälte verdichtete sich. Der Dunst nahm zu. Das Pflaster der Straße glänzte feucht, und erste vom Wind abgerissene Blätter klebten darauf fest. Trotz des Mantels fror sie. Wahrscheinlich war das Material zu dünn, sie hatte das Kleidungsstück praktisch nur als Alibi mitgenommen. Das Essen war gut gewesen. Leicht und bekömmlich. Ebenso wie der Weißwein.
Zwei Gläser hatte Sheila geleert und vor dem Essen noch einen Prosecco zu sich genommen.
Um diese Zeit ging auch niemand mit seinem Hund spazieren. Sheila fühlte sich wie eine einsame Wächterin, die allerdings nicht mehr lange einsam bleiben würde, denn vom Garten her näherten sich Schritte.
Bill hatte sich eine Lederjacke übergeworfen. Er eilte mit langen Schritten über den Weg hinweg und schloss das Tor manuell auf, das sich eigentlich auch per Fernbedienung bewegen ließ.
Sheila lächelte ihm entgegen.
Bill war froh darüber. Er blieb stehen und umarmte seine Frau kurz. »He, was ist denn los?«
»Jetzt ist alles okay.«
»Und zuvor?«
Sheila schaute die Straße entlang. »Ich habe Schreie gehört, Bill. Schreckliche Schreie. Aber ich habe nicht gesehen, wer sie ausgestoßen hat.«
»Äh… war das alles?«
Sie schaute Bill an. »Moment mal. Reicht das nicht?«
»Ja, schon, aber wo ist die Person, die geschrien hat?«
Sheila zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung, Bill, überhaupt keine. Ich habe sie nicht gesehen. Ich kann nicht mal die Richtung bestimmen, aus der mich die Schreie erwischt haben. Ich weiß nur, dass es eine Frau gewesen ist.«
»Das ist immerhin etwas und auch erklärlicher.«
»Wieso?«
»In der Regel sind es doch Frauen, die bedroht werden. Sei es von ihren eigenen Männern oder von anderen Personen. Die Gegend ist einsam. Außerdem ist hier schon genug geschehen. Da brauche ich nur an unseren Nachbarn denken und an die Sache mit dem Schamanen.« Bill schaute sich immer wieder um, aber auch er sah nur eine menschenleere Straße in einer Umgebung, in der sich nicht mal ein Tier bewegte. Die Umgebung war ausgestorben. Verlassen. Aber oft lauerte gerade hinter diesem Nichts eine große Gefahr, die sie beide finden mussten.
»Hast du denn nichts gehört, Bill?«
»Nein.«
»Das ist dumm.«
»Ich habe in meinem Arbeitszimmer gesessen und Musik über Kopfhörer gehört. Bis mir auffiel, dass es schon recht spät geworden war. Dann habe ich auf den Monitor geschaut und dich vor dem Tor stehen sehen. Deshalb habe ich dich auch angesprochen. Mehr kann ich dir dazu nicht sagen.«
Sheila drückte seine Hand. »Ich bin ja so froh, dass du hier bist.«
Er lächelte sie an. »Okay, da wir dies geregelt haben, kannst du mir vielleicht sagen, welchen Plan du gefasst hast? Oder hast du dir überhaupt etwas vorgestellt?«
»Nein, das habe ich nicht, Bill. Zumindest nichts Konkretes. Aber ich will diese Schreie auch nicht auf sich beruhen lassen, das auf keinen Fall. Ich muss herausfinden, was passiert ist.
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