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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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Vorspiel
    Die älteren Frauen des Haushalts suchten schon eine Stunde vergeblich, aber die Schwester des verschwundenen Jungen wusste, wo sie nachsehen musste.
    »Überraschung«, sagte sie. »Ich bin's.«
    Mit dem grauen Staub auf Hose und Samttunika und dem dreckverschmierten Gesicht sah er aus wie ein sehr trauriger Kobold. »Tante Lanna und die anderen Frauen flattern überall herum wie ein Haufen aufgescheuchter Hühner und suchen dich«, sagte sie. »Ich verstehe nicht, warum sie hier nicht geschaut haben. Merken die sich denn gar nichts?«
    »Geh weg.«
    »Kann nicht, Dummkopf. Baronin Simeon und zwei Zofen waren direkt hinter mir — ich hab sie den Gang entlangkommen hören.« Sie klemmte die Kerze zwischen zwei Fußbodensteine. »Wenn ich jetzt rausgehe, wissen sie, wo du steckst.« Sie grinste, zufrieden mit ihrem Trick. »Also bleibe ich hier, und du kannst mich nicht wegschicken.«
    »Dann sei still.«
    »Nein. Nur, wenn ich will. Ich bin eine Prinzessin, und du hast mir gar nichts zu befehlen. Das kann nur Vater.« Sie setzte sich neben ihren Bruder und sah zu den Borden hinauf, die jetzt, da die neue Küche näher bei der großen Halle erbaut worden war, kaum noch in Benutzung waren. Da standen nur ein paar angeschlagene Tontöpfe und Schüsseln und ein halbes Dutzend mit Stopfen verschlossener Krüge, deren Inhalt so alt war, dass es, wie Briony einmal erklärt hatte, selbst für Chaven von Ulos gefährlich wäre, sie zu öffnen. (Der neue Hofarzt mit seinen vielfältigen, spannenden Interessen hatte die Kinder sehr beeindruckt.) »Also, warum versteckst du dich?«
    »Ich verstecke mich nicht. Ich denke nach.«
    »Du lügst, Barrick Eddon. Wenn du nachdenken willst, wanderst du auf den Mauern herum oder gehst in Vaters Bibliothek oder ... verkriechst dich in deinem Zimmer wie ein betender Tempelmantis. Hierher kommst du nur, wenn du dich verstecken willst.«
    »Ach ja? Und woher nimmst du diese Weisheit, Strohkopf?«
    So nannte er sie oft, wenn er ärgerlich auf sie war, als ob die Tatsache, dass sie goldblondes Haar hatte, während seines fuchsrot war, irgendetwas daran änderte, dass sie Zwillinge waren. »Ich bin nun mal schlau. Komm schon, sag's mir.« Briony wartete, wechselte dann achselzuckend das Thema. »Eine von den Enten im Festungsgraben hat ganz frisch geschlüpfte Küken. Die sind so süß. Sie machen die ganze Zeit Piep-Piep-Piep und folgen ihrer Mutter überallhin, alle hintereinander wie an einer Schnur.«
    »Du und deine Enten.« Mit finsterem Blick rieb er sich den Unterarm. Seine linke Hand war eine verkrümmte Klaue.
    »Tut dir der Arm weh?«
    »Nein! Die Simeon ist jetzt garantiert weg — warum gehst du nicht und spielst mit deinen Enten oder Puppen oder irgendwas?«
    »Weil ich mich hier nicht wegrühre, bevor du mir sagst, was los ist.« Jetzt war Briony auf vertrautem Terrain. Diese Art des Verhandelns kannte sie so in- und auswendig wie ihre Morgen- und Abendgebete oder die Geschichte von Zorias Flucht aus der Feste des grausamen Mondherrschers — ihre Lieblingsgeschichte aus dem Buch des Trigon. Es würde vielleicht eine Weile dauern, aber am Ende würde sie ihren Willen bekommen. »Erzähl.«
    »Nichts ist los.« Er bettete seinen verkrüppelten Arm so vorsichtig in seinen Schoß, wie Briony es mit Lämmchen und dickbäuchigen Hundewelpen zu tun pflegte, aber sein Gesichtsausdruck war eher der eines Vaters, der ein ungewolltes, schwachsinniges Kind hält. »Schau nicht dauernd auf meine Hand.«
    »Du weißt doch genau, dass du's mir sagen wirst, Rotschopf«, frotzelte sie. »Also wozu das Geknurre?«
    Die Antwort war Schweigen — ungewöhnlich in diesem Stadium des vertrauten, alten Tänzchens.
    Sie versuchte es weiter, aber er schwieg stur. Briony wurde mittlerweile richtig wütend auf ihn, weil er sich einfach nicht zum Reden bringen lassen wollte, aber vor allem verdutzte es sie. Vor acht Jahren um dieselbe Stunde geboren, hatten sie ihr ganzes bisheriges Leben gemeinsam verbracht, aber noch nie hatte sie ihn so aufgewühlt gesehen, außer mitten in der Nacht, wenn er, wie es so oft passierte, schreiend aus bösen Träumen hochfuhr.
    »Na gut«, sagte er schließlich. »Wenn du mich nicht in Ruhe lässt, musst du schwören, dass du's nicht weitersagst.«
    »Ich? Schwören? Du gemeiner Kerl! Ich habe noch
nie
irgendwas verraten!« Und das stimmte. Sie hatten beide schon mehrfach Strafen für etwas auf sich genommen, was der andere Zwilling getan hatte, ohne sich

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