1230 - Der Traumdieb
Atkins schaute zuerst Sheila an, dann Bill. Anschließend wiederholte sie den Satz, den sie schon am Tor gesagt hatte. »Man hat mir meine Träume gestohlen. Ja, man hat sie mir gestohlen. Man hat sie mir weggenommen, einfach so. Ich kann nicht mehr träumen, es geht nicht mehr.«
Sie schüttelte den Kopf. Ihr Blick wurde wieder leer oder nach innen gerichtet. »Meine Träume sind weg…«
Die Conollys schauten sich an. Sheila nagte dabei an ihrer Unterlippe. Auch sie wollte Fragen stellen, doch sie überließ es ihrem Mann und nickte ihm zu.
»Gut«, sprach Bill mit leiser Stimme, »wenn Ihnen die Träume gestohlen worden sind, Cora, dann muss es auch jemanden geben, der dies getan hat. Gewissermaßen einen Traumdieb. Ist das der Fall? Liege ich damit richtig?«
Cora tat nichts. Es war ihr auch nicht anzusehen, ob sie vielleicht überlegte. Stattdessen sagte sie: »Sie sind weg. Sie sind einfach weg, verstehen Sie?«
»Ja, das ist richtig«, bestätigte Bill. »Aber es muss jemand geben, der Ihnen die Träume gestohlen hat. Können Sie uns darüber etwas sagen, denn wir wollen Ihnen doch helfen.«
»Es war der Dieb. Es war der Dämon, der mir meine Träume einfach genommen hat…«
Diese Antwort elektrisierte die Conollys. Beide schraken zusammen, denn mit einer derartigen Wendung hatten sie beim besten Willen nicht gerechnet. Es war ein Begriff gefallen, der sie besonders betroffen gemacht hatte.
Dämon!
Cora Atkins hatte von einem Dämon gesprochen. Der Begriff konnte weit gefasst werden, darüber wollten die Conollys jetzt nicht nachdenken, denn sie hatten auf diesem Gebiet bereits Erfahrungen genug gesammelt. Für sie war es von Bedeutung, dass dieser allgemeine Begriff personifiziert wurde, und deshalb stellte Bill eine diesbezügliche Frage.
»Welcher Dämon hat Ihnen die Träume gestohlen?«
Cora Atkins hob den Kopf. Sie starrte Bill ins Gesicht. Dann zuckte sie die Achseln.
»Sie kennen ihn nicht?«
»Er ist da.«
»Ja, das können wir uns vorstellen. Wenn Ihnen jemand die Träume gestohlen hat, dann muss es auch einen Dieb geben. Aber selbst Traumdiebe haben einen Namen.«
»Ich weiß es nicht.«
»Erscheint er Ihnen im Traum?«, fragte Sheila.
Coras Gesicht verzerrte sich in die Breite. Weit riss sie ihre Augen auf. »Ich weiß es doch nicht!«, brüllte sie. »Ich kann es nicht sagen. Ich habe keine Ahnung. Ich weiß es wirklich nicht. Er ist aber da…!« Vor ihren Lippen sprühte der Speichel. Es war ein kleines Wunder, dass sie noch auf dem Stuhl sitzen blieb, aber dann sackte sie innerlich zusammen, und auch nach außen hin behielt sie die Haltung nicht mehr bei, denn ihr Kopf sank nach vorn, bis sie mit dem Kinn ihre Brust berührte.
Sheila blies die Luft aus, bevor sie Bill zuflüsterte: »Das sieht ernster aus, als ich gedacht habe.«
»Richtig.«
»Kennst du einen Dämon, der Träume stiehlt?«
Sheila wusste nicht, weshalb ihr Mann plötzlich lächelte, aber sie erfuhr es sehr bald. »Kennst du den Film ›Nightmare on Elm Street‹?«
»Den mit Freddy Krüger?«
»Ja, genau mit ihm. Er hat den Menschen auch die Träume gestohlen und sich selbst hineingeschlichen. Weil man ihnen die Träume nahm, sind sie wahnsinnig geworden.« Bill wiegte den Kopf. »Ich befürchte, dass dies hier auch der Fall sein könnte. Dass ein Dämon in die Träume der Frau hineingelangt ist, aus welchen Motiven auch immer. Nur waren es bei Freddy wohl mehr Teenager.«
»Und er hat sich ihnen gezeigt«, sagte Sheila.
»Das ist wahr.«
»Müssen wir davon ausgehen, dass auch Cora diesen Traumdieb gesehen hat?«
»Ich denke schon«, erklärte Bill. »Nur hat sie eine so höllische Angst vor ihm, dass sie es einfach nicht wagt, ihn zu beschreiben. Oder es auch gar nicht will oder kann. Ich denke, wir werden da noch sehr tief bohren müssen.«
»Wir?«, dehnte Sheila und runzelte dabei die Stirn. »Meinst du, dass es unsere Aufgabe sein wird?«
»Ja. Warum nicht?«
»Das ist eher eine Sache für die Polizei, und zwar für unseren Freund John Sinclair.«
Daran hatte Bill bereits eine Weile gedacht, es aber nicht ausgesprochen. Er gab Sheila durch sein Nicken Recht und wandte sich wieder an Cora Atkins.
»Wollen Sie uns sagen, was in dieser Nacht passiert ist?«, fragte er leise.
Sie ruckte hoch, als hätte sie sich erschreckt. »Bitte, was soll ich sagen?«
»Was passiert ist. Weshalb Sie ihre Wohnung verlassen haben. Es muss einen Grund…«
»Er war da!«, erklärte sie hastig.
»Der
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