1230 - Der Traumdieb
das kann ich nicht glauben. Nicht wirklich.«
»Doch, Jane, Sie können sie sehen. Sie werden damit konfrontiert. So frei bin ich.«
Die Detektivin saß nicht mehr still. »Ja, ja, wie wollen Sie das denn machen? Und meinen Sie, dass es etwas hilft bei mir?«
»Ich denke schon, Jane. Sie werden erkennen, dass Sie nicht allein mit Ihren Problemen sind.« Er stand aus seinem Sessel auf. »Wenn Sie mich begleiten würden…«
»Jetzt?«
»Natürlich.«
»Gut, gern…«
Jane hatte bei der letzten Antwort gelogen. So gern ging sie nicht mit. In ihrem Innern war eine Alarmsirene angeschlagen.
Es war bisher alles so unnatürlich glatt gelaufen. Dieser Psychologe hatte ihr einfach alles abgenommen, ohne groß zu hinterfragen. Sie beschloss, noch stärker auf der Hut zu sein.
Dr. Barker schaute sich um, ob Jane ihm auch folgte. Als dies der Fall war, ging er weiter. Das Ziel war wieder die mit Holz getäfelte Wand. Sie war so etwas wie eine Schatzkammer der Geheimnisse, und wieder öffnete der Mann eine Tür.
Dahinter lag keine Bar, sondern ein Raum. Ein Zimmer und so etwas Ähnliches wie ein Bad, dessen Wände schwarz gekachelt waren, aber in der Mitte der gegenüberliegenden Seite eine Fläche frei ließen.
Der Arzt stand an der Tür. Er ließ Jane Collins den Vortritt, die den Raum mit einem unguten Gefühl betrat. Und dieses Gefühl steigerte sich noch, als Barker die Tür hinter ihr schloss.
»Hier erkennt der Mensch seine zweite Gestalt.« Er war nahe an sie herangetreten und hatte die Worte in ihr rechtes Ohr geflüstert. »Das ist sehr wichtig.«
»Was meinen Sie denn?«
»Schauen Sie in den Spiegel.«
Jane kam der Aufforderung nach. Ihr war plötzlich nicht mehr gut. Jetzt fühlte sie sich wie in einem Gefängnis, aber sie spielte noch immer die Frau, die mit ihren Problemen nicht zurechtkam.
Sie schaute in den Spiegel.
Sie sah sich.
Aber sie sah auch Barker.
Er stand neben und zugleich etwas hinter ihr. Und er war dabei, sich zu verändern…
***
Die Detektivin konnte es nicht fassen. Schlagartig hatte sie das Gefühl, sich in einem Horrorfilm zu befinden, in dem jemand seine Maske abzog, um sein normales Gesicht zu zeigen.
Aber hier zog niemand die Maske ab. Das normale Gesicht des Dr. Barnabas Barker verschwand und schuf dem Platz, was er als sein zweites Gesicht bezeichnet hatte oder auch als seine zweite Existenz.
Auf dem Körper saß zwar noch ein Kopf, aber er bestand aus einer grauen staubigen Fratze. Ein Gesicht wie aus pudrigem weißen Gestein. Leere Auge nhöhlen, eine leere Mundhöhle, aber eine klobige Nase, die tatsächlich wie ein Erker hervorstand.
Jane rührte sich nicht von der Stelle. Sie sah das Bild, aber sie wollte es noch immer nicht fassen, und sie merkte, wie ein Schauer über ihren Körper rann.
Das brüchige Gesicht hätte auch einer Gestalt gehören können, die lange in einer Gruft gelegen hatte. Es fehlten nur noch die Spinnweben in den leeren Augenhöhlen.
Das Gesicht im Spiegel bewegte sich nicht. Es gehörte zu einem Körper, aber der sah völlig normal aus. Bedeckt von einem weißen Hemd und einem schwarzen Anzug. So genau war auch Dr. Barker angezogen.
Er stand hinter Jane. Sie wurde auch nicht von ihm berührt, aber sie hatte das Gefühl, dass ein gewaltiger Druck auf ihrem Körper lag, der sie irgend wann zusammenbrechen ließ.
Sie hörte nichts, keinen Atem, und das Gesicht im Spiegel bewegte sich nicht. Es war so klar, dass sie sogar die Risse darin sah, aber trotzdem fiel es nicht auseinander. Sie schaute in die beiden Augenhöhlen und entdeckte darin eine Schwärze, die so dicht war, dass ihr schauderte.
So also sah Barkers zweite Existenz aus.
Jane Collins riss sich zusammen. Sie hämmerte sich ein, nur keine zu große Angst zu zeigen. Sie erreichte auch einen Erfolg, denn sie wunderte sich darüber, dass sie sich noch immer normal bewegen konnte, und das setzte sie in die Tat um.
Sie fürchtete sich davor, den Arzt direkt anzuschauen, aber da musste sie durch.
Die Drehung war geschafft!
Dr. Barnabas Barker stand vor ihr. Er schaute sie an. Und er sah so aus wie immer. Keine Veränderung. Der Blick seiner Augen, das glatte normale Gesicht, und natürlich das Lächeln auf seinen Lippen, das für Jane allerdings eine andere Funktion bekommen hatte.
Es war wissend, sodass ihr der Gedanke kam, dass sie von Dr. Barker durchschaut worden war…
ENDE des ersten Teils
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