1233 - Der Kunst-Vampir
erwarten, der Unperson gegenüberzutreten, der sie in der vergangenen Nacht nur knapp entwischt war.
Der Kunst-Vampir war wohl schon von den meisten Gästen besichtigt worden, denn als wir auf ihn zutraten, stand niemand in der Nähe, um ihn sich anzuschauen. Außerdem waren die Besucher bestimmt nicht zum ersten Mal hier. Jetzt wollten sie eben feiern, und das in einer für sie typischen Umgebung.
Der Kunst-Vampir stand nicht im Dunkeln, er wurde angestrahlt. Auch dieses Licht war nicht normal, denn es verteilte sich als grauer Schleier vor und über ihm. Die Lichtquelle saß unter der Decke und war ein schräg gestellter Strahler.
Ich sah ihn zum ersten Mal. Dabei war ich trotzdem überrascht, obwohl er mir von den Beschreibungen her schon bekannt war. Dennoch konnte ich das Erschauern nicht vermeiden.
Wenn ihn jemand als einen Kunst-Vampir bezeichnet hatte oder als eine Kunst-Figur, dann musste ich ihm Recht geben, denn was ich sah, war schlimm.
Ich kannte Vampire in vielen Variationen und Abarten, aber einen wie diesen hatte ich noch nie zuvor gesehen. Er war nackt bis auf einen Lendenschurz. Der Körper hätte auch zu einem Bodybuilder gehören können, so muskulös war er. Auf seiner dunklen Brust malte sich eine Zeichnung ab, die so verschlungen war, dass ich ihr Motiv nicht erkannte. Aber der Körper interessierte mich nur in zweiter Linie. Viel wichtiger war der Kopf, und ich musste Dagmar wieder zustimmen. Er passte nicht zum Körper, auch wenn er ziemlich groß war, haarlos. Versehen mit einer großen Stirn, die sich vorn so weit nach unten zog, dass sein Gesicht recht klein wirkte. Es sah für mich aus wie aus grobem Stein gehauen, kam mir sogar etwas rissig vor.
Dann gab es noch die Augen. Pupillen sah ich so gut wie keine. Dafür gloste tief in ihrem schwarzen Innern ein helles Licht auf, das sich immer weiter nach vorn drängte. Aus der hellen, fast weißen Farbe wurde ein kaltes Gelb, als hätte sich in diesem Augenpaar das Mondlicht verfangen. Als dies passierte, gab es für mich nicht den geringsten Zweifel, dass wir es mit einem Vampir zu tun hatten, der lebte, denn auch die beiden typischen Merkmale fehlten bei ihm nicht. Unter der Oberlippe des halb geöffneten Mundes hinweg schoben sich die beiden Spitzen der Zähne hervor.
»Er lebt!«, flüsterte Dagmar scharf. Sie wich etwas zurück und griff nach ihrer Waffe.
Ich bekam den Wärmestoß zu spüren, als sich das gelbe Licht in seinen Augen verteilt hatte. Es war wohl das Zeichen, dass er endgültig erwacht war.
Das Kreuz wollte ich nicht länger verdeckt lassen. Während ich es hervorholte, konzentrierte ich mich auf seinen Hals, denn dort war mir etwas aufgefallen.
Ich sah dort Drähte, Fäden oder Nähte. Man musste den Kopf von einem anderen Körper getrennt haben, um ihn dann auf den neuen aufzusetzen. Ein Wahnsinn. Frankensteins Monster hätte nicht anders aussehen können.
Bisher hatte er sich noch nicht bewegt. Ich zog in Ruhe mein Kreuz hervor, sorgte aber dafür, dass es durch meine Hand verdeckt blieb, denn die Überraschung wollte ich mir bis zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt aufsparen.
Noch immer glotzte er mich starr an. Nicht mal seine Hände hatten gezuckt. Wahrscheinlich lauerte er auf den richtigen Moment, um angreifen zu können. Blut hatte er schon getrunken. Einige getrocknete Reste klebten noch in der Nähe seines Mundes, der sich jetzt zuerst bewegte und sich weiter öffnete.
Er zeigte seine Zähne.
Er zeigte sein Maul.
Es war eine tiefe Öffnung, in der die Zunge kreiste und auch mal gegen die Lippen tanzte. Und dann warf er sich vor!
***
Er hätte mich unter seinem massigen Körper begraben können, aber ich war schon auf der Hut gewesen und sprang blitzschnell zurück, sodass der erste Angriff ins Leere lief. Er hatte auch dabei nicht auf die Beine geachtet, kam deshalb ins Stolpern und bemühte sich, das Gleichgewicht zu bewahren.
Ich sah, dass Dagmar schießen wollte, schlug ihren Arm jedoch zur Seite. »Nein, nicht jetzt.«
»Aber…«
»Geh in Deckung.«
Sie huschte von mir weg, was gut war, denn der Kunst-Vampir hatte zu einem Rundschlag ausgeholt und hätte Dagmar auch getroffen, aber er schlug ins Leere, weil die Distanz einfach zu groß geworden war.
Dann war ich bei ihm.
Nicht allein, sondern mit dem Kreuz. In diesem Fall war es das wirksamste Mittel, denn ich wollte mich nicht auf einen langen Kampf mit ihm einlassen.
Er war ein Feind, der vernichtet werden musste, bevor er noch
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