1237 - So rächt sich eine Bestie
»Wir können hier nur sitzen und hoffen…«
»Oder beten.«
»Ja, auch das.«
Rose nagte für einen Moment an ihrer blassen Unterlippe.
»Kreuze helfen doch gegen Vampire - oder?«
»Das sagt man im Allgemeinen.«
»Gut, dann gehe ich jetzt nach oben das große Kreuz aus dem Schlafzimmer holen, das dort über dem Bett hängt. Bist du damit einverstanden, Tom?«
»Tu, was du nicht lassen kannst. Wichtig ist, dass es hilft und wir nicht alle zu Blutsaugern werden.« Er schlug auf den Tisch.
»Verdammt noch mal, wo steckt denn Amy?«
Rose stand bereits auf. »Keine Sorge, sie wird bald hier sein.«
»Das will ich auch hoffen.«
Mit etwas schwankenden Bewegungen ging Rose auf die Theke zu. Hinter der rückseitigen Tür gelangte sie in den Flur und auch zur Treppe. Es war der kürzeste Weg nach oben.
Hinter ihr blieb es still, bis Kevin Taggert stöhnend atmete und dann sagte: »Es ist wie bei einer Hinrichtung.«
»Wieso?«
»Wir sitzen hier wie die Kandidaten in der Zelle und warten darauf, dass man uns abholt. Oder siehst du das anders?«
»Nein, wohl nicht.« Tom streckte die Beine aus. »Aber wir können hier wenigstens etwas tun.«
»Was denn?«
»Das Kreuz.«
»Zu wenig.«
»Wir haben noch Knoblauch.«
»Halte ich für ein Märchen, dass es wirkt.«
»Aber versuchen muss man es«, sagte Carry. »Wenn wir nur hier hocken, ist das einfach zu wenig.«
Kevin Taggert kam zu keiner Erwiderung mehr, denn sehr heftig wurde die Tür aufgestoßen, und ebenso heftig trat eine junge Frau schwer atmend über die Schwelle. Mit einem Blick hatte Amy die Lage erfasst, ohne jedoch damit zurechtzukommen.
»Du, Vater?«
»Ja, ich…«
Amy drückte die Tür wieder zu. Ein Blick in das Gesicht ihres Vaters reichte ihr. »Großer Gott, was ist denn geschehen?«, flüsterte sie scharf. »Was hast du?«
»Das ist eine lange Geschichte, Kind.«
»Sie hat mit den Vampiren zu tun, wie?«
»Genau damit. Aber auch mit viel Glück und mit einem Mann namens John Sinclair.«
»Wieso das denn?« Amy zog ihre Jacke aus und hängte sie über einen Stuhl, bevor sie sich setzte. »Du bist doch auf dem Wasser gewesen. Was hast du denn mit Vampiren zu tun? Die hat es nur hier auf der Insel gegeben.«
Als Amy das scharfe Lachen ihres Vaters hörte, schreckte sie zusammen. »Nein, sie sind oder waren überall. Sogar auf dem Meeresgrund. Sie sind…«, er winkte ab. »Verdammt, ich weiß auch nicht mehr, was ich dazu noch sagen soll.«
»Alles, Vater.«
Tom Carry schüttelte den Kopf, während seine Tochter Kevin Taggert beobachtete. Sie kannte ihn nicht, denn von der Insel stammte er nicht. Sie wollte ihm eine Frage stellen, als ihr Vater sie wieder ansprach. »Ich möchte wissen, wie es bei dir gelaufen ist.«
»Recht gut.«
»Das ist zu wenig.«
»Nun ja, ich bin die Leute hier abgegangen und habe sogar Verständnis erhalten.«
»Wie äußerte sich das?«
»Die Nachbarn bleiben jetzt in ihren Wohnungen. Sie hatten auch nichts dagegen, dass ich den Knoblauch vor ihre Haustüren gehängt habe. Kann ja wirklich sein, dass es ein Schutz ist.«
»Ich weiß es nicht.« Tom schüttelte den Kopf. »Obwohl Sinclair ganz schön aufgeräumt hat. Und sein Freund auch, der aber nicht bei mir auf dem Boot war.« Er beugte sich vor und berichtete in aller Kürze von seinen Erlebnissen.
Amy war nicht in der Lage, eine Antwort zu geben. Sie konnte nur staunen und bekam ihren Mund fast nicht mehr zu.
Ein paar Mal flüsterte sie das Wort »unglaublich«, doch sie kam nicht mehr dazu, die Dinge einzuordnen, denn hinter der Theke öffnete sich eine Tür, und Rose Carry erschien mit dem Kreuz in der Hand.
»Mutter!«, rief Amy und stand auf. »Was ist…«
»Vater meinte, dass es nicht schaden könnte, wenn ich das Kreuz aus dem Schlafzimmer hole…«
Amy lief hin und umarmte ihre Mutter. Dann nahm sie ihr das Kreuz ab. Es war keines, das einen Kunstliebhaber in Entzücken versetzt hätte. Es bestand aus schlichtem Eichenholz, das eine leichte Politur erhalten hatte. Die Figur des Erlösers hing nicht daran, und als es Amy gegen die Theke lehnte, da strich sie zart mit beiden Händen über den Gegenstand hinweg.
Sie waren jetzt zu viert, aber es gab trotzdem einen unsichtbaren Gast unter ihnen. Es war die Angst. Niemand sprach darüber, niemand wollte etwas sagen, doch jeder spürte das gleiche Gefühl.
Amy konnte nicht sitzen bleiben. Sie ging auf und ab, obwohl sie sicher war, dass es die anderen nervös machte. Aber sie
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