1237 - So rächt sich eine Bestie
musste einfach etwas tun und blieb schließlich vor einem der kleinen und quadratischen Fenster stehen, um einen Blick nach draußen zu werfen. In der Dunkelheit sah sie nicht viel. Selbst die Umrisse der Ruine waren nur schwach zu erkennen. Sie hatte den Eindruck, als hätte sich in den letzten Minuten Nebel über die Insel gelegt.
Eine Bewegung sah sie nicht, nur an bestimmten Stellen die vereinzelten Lichter, die in den kleinen Fenstern schimmerten.
Aber auch sie wirkten jetzt etwas verschwommener. Für sie der Beweis, dass sie sich nicht geirrt hatte, was das Vorhandensein des Nebels anging. Er war tatsächlich dabei, seine eigene Atmosphäre zu schaffen, und das kam den Blutsaugern oder wer immer in der Nacht unterwegs war, natürlich sehr entgegen.
Als sich Amy umdrehte, stellte sie eine Frage, die einfach raus musste. »Wo befindet sich jetzt John Sinclair?«
Ihr Vater gab eine Antwort. »Ich kann es dir nicht genau sagen. Aber er wird auf der Insel sein.«
»Da könnte er ja kommen.«
»Sicher.«
Amy knetete ihre Hände. Sie ging wieder auf und ab. Sie sprach von einem Handy und auch davon, dass sie die Nummer des Yard-Mannes nicht kannte.
»Er wird schon kommen, Kind«, sagte Rose Carry. »Ich glaube nicht, dass er uns im Stich lässt.«
»Ja, wenn er kann…«
»Was meinst du damit?«
Amy schaute ihre Mutter lange Zeit an. »Ich will es nicht hoffen, aber ich kann mir auch vorstellen, dass er den Kürzeren gezogen hat.«
»Bitte, das ist…«
»Nur eine Vermutung, Mutter, nur eine Annahme. Ich habe die Vampire erlebt und weiß, wie sie sind. Sie sehen aus wie Menschen, aber sie sind keine. Sie sind uns Menschen überlegen, und sie haben Kräfte, die man nicht beschreiben kann. Man kann sie nicht normal töten. Man muss sie mit speziellen Waffen vernichten, das habe ich schon in der Ruine erlebt. Mehr kann ich dir auch nicht sagen.«
Rose nickte. »Ja, du hast wohl Recht. Aber ich frage mich jetzt, was wir tun sollen.«
Amy wollte eine Antwort geben, aber sie wurde ihr von den Lippen gerissen, denn plötzlich flog mit einem gewaltigen Schwung die Tür auf, und auf der Schwelle stand die blonde Bestie…
***
Es waren die Sekunden des Schocks. Die Zeit des Unfassbaren. Die Sekunden des Nichtbegreifens und der Überraschung, die alles andere in den Hintergrund drängte.
Das plötzliche Entsetzen hatte die vier Menschen stumm gemacht, nicht aber Justine Cavallo, die aus dem Dunkel nach vorn in das Licht trat und so besser gesehen wurde.
Sie war nicht ohne Mitbringsel erschienen. In der rechten und der linken Hand hielt sie jeweils eine Knoblauchstaude, als wollte sie den Beweis antreten, dass ihr dieses uralte Mittel gegen Vamp ire nicht gefährlich werden konnte.
Sie lächelte. Das Haar war noch nass. Es umgab ihren Kopf wie eine nasse Gardine, doch das Gesicht hatte sich nicht verändert. Es zeigte den gleichen Ausdruck wie immer. Das kalte, überhebliche Lächeln. Der Mund war leicht geöffnet. So schimmerten am unteren Rand der Oberlippe die Spitzen der beiden Vampirzähne wie ein tödliches Versprechen.
Zwei weitere Schritte ging sie tiefer in die Gaststätte hinein.
Ein kurzer Blick reichte aus. Zwei Männer und die ältere Frau saßen zusammen an einem Tisch. Die jüngere Frau stand mit dem Rücken zur Theke gewandt und war ebenfalls nicht in der Lage sich zu bewegen. Anders Justine Cavallo.
Beide Arme hob sie noch weiter an.
Plötzlich begann es zwischen ihren Händen zu knistern.
Zugleich schlugen kleine Flammen aus den Knoblauchstauden, und die scharfe Botschaft der Blonden gellte in den Raum hinein.
»So rächt sich eine Bestie…!«
ENDE des zweiten Teils
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