1251 - Die Heilige und die Hure
Julie…«
Beinahe hätte sie gelacht, weil die Begrüßung eben so harmlos und locker klang. Als wären sie hier zusammengekommen, um eine Plauderstunde abzuhalten.
Sie wusste, dass sie etwas sagen musste, die Kerle wollten etwas hören, und als sie sprach, da wunderte sie sich, wie klar ihre Stimme klang.
»Was wollt ihr von mir?«
»Wir haben dich jetzt!«
»Ha, das merke ich.«
»Und wir werden dich nicht mehr aus den Augen lassen, Julie, denn du bist eine ganz besondere Person.«
»Ja, ich bin eine Frau. Wenn ihr das als etwas Besonderes anseht, kann das nur aus der Historie dieser verdammten Männerbünde stammen, denke ich mal.«
»Nein, damit tust du uns Unrecht. Es ist etwas ganz Besonderes, was wir meinen.«
»Was denn?«
Bisher hatte der Typ rechts von ihr gesprochen. Jetzt redete der linke. Sie hörte seine Stimme und versuchte auch, sich auf sein Gesicht zu konzentrieren, von dem leider nur ein Fleck in der Dunkelheit zu sehen war. Aber sie konnte schon erkennen, dass beide saßen oder knieten.
»Du bist sie, Julie!«
»Was? Wieso?«
»Ja, du bist sie. Du bist Maria Magdalena!« Er räusperte sich, bevor er noch etwas hinzufügte. »Du bist Hure und Heilige zugleich…«
***
Unzählige winzige Füße krochen ihr über den Rücken. Wenig später verdichtete sich dieser Schauer zu einer Gänsehaut, und Julie war zunächst nicht in der Lage, etwas zu erwidern.
Was hatte der Mann gesagt? Hure und Heilige? Eine heilige Hure? Wie sie es drehte und wendete, es blieb bei dieser Aussage und auch dabei, dass sie im Moment zu überrascht war, um näher darüber nachzudenken.
Sie schwieg, und die beiden Typen ließen sie auch in Ruhe. Sie konnten sich vorstellen, dass sie die Überraschung erst noch verdauen musste. Wenn sie genauer darüber nachdachte, dann war es gar nicht so überraschend für sie gekommen, denn Julie hatte sich mit der Person der Maria Magdalena schon beschäftigt, weil sie mehr über sich selbst wusste. Da trafen die beiden Begriffe Hure und Heilige schon zu, denn so und nicht anders wurde sie genannt.
Für die einen war sie eine Hure, für die anderen eine Heilige. Es gab einfach zu viele Geschichten und Legenden über sie, und eigentlich hatte der Zweck der Entführung darauf hinauslaufen müssen.
Allmählich verlor sich die Gänsehaut, und Julie fand wieder zurück zu sich selbst. Für die Zeit des Nachdenkens waren die beiden Gestalten vor ihren Augen verschwommen, jetzt sah sie sie wieder deutlicher, zumindest ihre Konturen und die helleren Flecken der Gesichter.
»Nein«, sagte sie mit leiser Stimme. »Das stimmt nicht. Ich bin weder eine Hure noch eine Heilige. Ich bin eine völlig normale Frau, verdammt.«
»Nein, du bist sie.«
»Ich heiße…«
Sie ließen sie nicht aussprechen. »Wir wissen, wie du heißt. Wir wissen, wer du bist. Wir haben dich eine Weile unter Kontrolle gehalten, weil wir auf Nummer sicher gehen wollten. Aber jetzt gibt es keinen Zweifel daran, dass wir die richtige Person erwischt haben. Den allerletzten Beweis hat uns Sinclair gegeben, der ebenfalls an dir Interesse zeigte. Warum hätte er sich sonst für dich interessieren sollen, wenn nicht als Heilige und Hure?«
Julie Ritter war nicht auf den Mund gefallen, aber diese Ausführungen hatten sie sprachlos werden lassen. Zu viele Gedanken wirbelten durch ihren Kopf. Sie hatte schon seit längerem gespürt, was mit ihr los war, nur hätte sie das Wissen gern für sich behalten und nicht mit anderen Menschen geteilt.
»Was wollt ihr von mir?«
Als Antwort erntete sie zunächst ein leises Lachen. »Was wir wollen, ist klar. Wir wollen dich. Wir werden und wollen dich verehren. Wir werden dich beschützen, wir werden dir alles geben, was du brauchst, denn du bist für uns der Schlüssel.«
»Wohin? Zu wem?«
»Zu dem, was wir unbedingt in unseren Besitz bringen müssen und was für uns sehr wichtig ist. Ich wundere mich, dass du es noch nicht erfahren hast, wo sich doch Sinclair um dich gekümmert hat. Wahrscheinlich hatte er nicht genug Zeit, doch ein anderer wird sie haben.«
»Welcher andere denn?«
Jetzt sprach der Mann rechts von ihr. »Vincent van Akkeren. Der neue Großmeister der Templer. Der Mann, dem es gelingen wird, alle Templer unter seinem Befehl zusammenzubringen. Er hat das Kommando übernommen. Er wird sehr bald die Insignien des Großmeisters tragen, und niemand wird etwas dagegen unternehmen können. Er wird die Macht der Mächtigen fortführen und das große Reich der
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