1259 - Spinnenpest
Beute, die durch nichts mehr aufgehalten wurde.
Für den Zuschauer ging alles schneller als erwartet. Der Schlund schnappte zu.
Clara sank taumelnd wie ein verwundeter Vogel nach unten und raste in das kochende Wasser hinein, das noch einmal aufspritzte, als der Körper aufschlug.
Dann war es vorbei!
Es gab keine Clara mehr!
Der Geistliche schaute in die Tiefe. Sein Kreuz hielt er fest. Er sah die brodelnde Wassermasse, aber er nahm nichts mehr von der Person wahr, die sich geopfert hatte.
Clara hatte ihr Versprechen gehalten, sich getötet und sich für die anderen Menschen geopfert.
Es blieb ihm nichts anderes übrig, als eine letzte Bitte auszusprechen. »Gott sei ihrer Seele gnädig…«
***
Der Pfarrer wusste später nicht zu sagen, wie er den Rückweg geschafft hatte. Er war rein automatisch gegangen, doch seine Gedanken waren ganz woanders gewesen. Erst als er die Stimmen der Dörfler hörte und ihn der flackernde Fackelschein irritierte, wusste er, dass ihn die Wirklichkeit wieder zurück hatte.
Die Menschen schauten ihn an. Ihre Gesichter hätten durch den Widerschein gerötet sein müssen, tatsächlich aber sahen sie grau und irgendwie leer aus, als hätte der Tod bei ihnen bereits seine Spuren hinterlassen.
Der Mann hatte es gesehen. Er war Zeuge gewesen, und wieder musste er das Kreuz als Stütze nehmen. So nickte er den Menschen zu und sagte mit halblauter Stimme: »Es ist vorbei. Clara hat sich für uns geopfert. Sie ist in das Höllenloch gesprungen.«
»Hast du es genau gesehen?«, wollte eine Frau wissen.
»Ja.«
»Und hat sie noch etwas gesagt?«
»Nicht viel«, erwiderte der Pfarrer. »Sie hat nur den Allmächtigen um Verzeihung gebeten.«
»Wird er ihr denn verzeihen?«
»Ich glaube schon.«
»Und der Fluch?«, fragte ein anderer aus der Gruppe.
»Ich denke, dass diese Pest vorbei ist. Aber genau kann ich es nicht sagen. Ich muss da noch etwas erledigen. Wir haben dem Teufel die Möglichkeiten genommen, jetzt müssen wir dafür sorgen, dass es für alle Zeiten so bleibt.«
»Und wie willst du das machen?«
»Ich werde sie holen und so verstecken, dass sie sich nicht mehr befreien kann.«
»Willst du sie nicht töten?«
»Kann man das?«
»Nein!«, rief jemand aus dem Hintergrund. »Man kann den Satan nicht töten, niemals. Man kann ihn nur verbannen, denn er ist stärker als wir Menschen.«
»Das stimmt leider.«
»Sollen wir dir helfen?«
Der Priester hob den Kopf. Er sah die Gesichter der Umstehenden jetzt besser. »Nein, meine Freunde, ihr braucht mir nicht zu helfen. Es ist meine Sache, denn ich habe geschworen, den Satan zu verfolgen und ihm keine Gelegenheit mehr zu geben, etwas zu tun. Daran halte ich mich auch. Lasst es mich allein erledigen, denn unsere Clara ist ihren Weg auch allein gegangen.«
»Was ist denn mit dem Kind?«
»Darum kümmere ich mich. Ich habe bereits alles vorbereitet. Von nun an kann unser Dorf befreit werden.«
»Wohin willst du sie stecken?«
Der Geistliche schüttelte den Kopf. »Das wird immer mein Geheimnis bleiben.«
»Warum? Wir leben auch hier!« Es regte sich ein erster Protest. Die Menschen wurden unruhig.
Einige stampften sogar mit den Füßen auf, so wütend waren sie.
Der Pfarrer ließ sich nicht beirren. »Nein, es bleibt dabei. Ich werde die Sache in die Hand nehmen. Es ist nicht gut, wenn zu viele Menschen Bescheid wissen.«
Der Protest war erstickt. Keiner sprach mehr gegen ihn, und es war auch niemand da, der den Geistlichen aufhielt, als er sich mühsam in Bewegung setzte. Auch jetzt stützte er sich bei jedem Schritt auf seinem Kreuz ab, aber seine Haltung war nicht mehr so gebeugt und niedergeschlagen wie noch auf dem Hinweg.
Er hatte einen Sieg errungen, und das gab ihm wieder neuen Mut und neue Hoffnung…
***
Der alte Pfarrer hörte auf den Namen Potter. Er ging nicht zu dem Platz, wo der letzte Akt stattfinden sollte, sondern betrat zuerst seine kleine Kirche, um zu danken.
Der Raum war leer. Er war kalt. Er war auch düster, und keine einzige Kerze gab ihr Licht ab. Niemand hatte sich getraut, den Docht anzuzünden. Es war eine dunkle und auch schlimme Zeit für die Menschen gewesen, und da war das Licht ein falsches Zeichen. Es passte einfach nicht in diese böse Zeit hinein, doch jetzt sollte es wieder leuchten, auch wenn noch nicht alles beendet war.
Potter ging vor bis zum Altar. Dahinter war die Wand bleich und leer. Dort hatte das Kreuz seinen Platz gehabt, und dort gehörte es auch wieder
Weitere Kostenlose Bücher