1264 - Justines Geisel
Pistole vergessen.
Etwas allerdings fehlte. Und das störte mich. Im ersten Moment wusste ich nicht genau, was es war, denn die Gedanken drehten sich noch zu weit weg.
Dann war es nur noch eine Sache von Sekunden.
Der Druck auf der Brust war nicht mehr da. Der leichte Druck, an den ich mich über all die Jahre hinweg gewöhnt hatte. Der Druck meines wunderbaren Talismans.
Man hatte mir das Kreuz weggenommen!
***
Geraubt, gestohlen. Einfach weggerissen. Es gab daran nichts zu rütteln und zu beschönigen, und ich merkte, wie ich innerlich zu toben begann. Mich erwischte eine wahnsinnige Wut, und ich wurde zugleich von einem heulenden Elend überfallen, denn dass mir meine stärkste Waffe genommen worden war, erschütterte mich, aber ich führte den Gedanken weiter und kam dabei zwangsläufig zu Justine Cavallo. Sie musste dabei gewesen sein, als man mir das Kreuz geraubt hatte, und genau das empfand ich als ungemein schlimm.
Sie und das Kreuz! Nein, das ging nicht. Es hätte sie vernichten müssen.
Oder war es Glenda gelungen, sich damit zu bewaffnen? Das wäre natürlich eine Möglichkeit gewesen. Als ich darüber nachdachte, ging es mir wieder etwas besser, und ich holte zum ersten Mal richtig Luft, was mir auch gut gelang.
Die Schmerzen im Kopf ließen sich jetzt ertragen. Es ging mir so gut, dass ich mich bewegen konnte, und ich hörte auch, dass sich in meiner Nähe zwei Personen unterhielten.
Es waren Frauen!
Zunächst fand ich nicht heraus, um wen es sich dabei handelte, aber als wiederum einige Sekunden vergangen waren, kristallisierten sich die Stimmen deutlicher hervor, und plötzlich wusste ich, wer sich in meiner Nähe aufhielt.
Glenda Perkins und die blonde Bestie Justine Cavallo!
Im ersten Augenblick wünschte ich mich einfach nur weg und hoffte, eine Halluzination zu erleben.
Aber das konnte es auch nicht sein. Ich hatte mich den Tatsachen immer gestellt, und das würde ich auch jetzt tun. Es konnte sein, dass mich der Verlust des Kreuzes einfach zu stark geschockt hatte und es deshalb so gedacht hatte.
Ob mich die beiden Augenpaare beobachteten, wusste ich nicht. Es konnte sein, aber das interessierte mich im Moment nicht, denn ich wollte mehr sehen.
Rechts von mir waren sie aufgeklungen. Deshalb drehte ich mich auch vorsichtig auf diese Seite und versuchte dabei, so leise wie möglich zu sein. Ich wollte jedes Geräusch vermeiden, und das gelang nur, wenn ich mir die entsprechende Zeit nahm und nichts überstürzte.
Ja, es klappte.
Ich drehte mich.
Dabei hielt ich den Atem an, und allmählich geriet etwas anderes in meinen Blickbereich. Es war dunkel, aber nicht finster: Etwa in meiner Kopfhöhe sah ich das schwache Leuchten einer allmählich verlöschenden Feuerstelle. Sie interessierte mich nur am Rande, denn wichtiger waren Glenda Perkins und Justine Cavallo.
Letzte stand günstig.
Von Glenda sah ich nur den Rücken und einen Teil ihres Profils. Nicht aber von der blonden Bestie.
Sie war verdammt gut zu erkennen, als würde ich direkt vor ihr stehen.
Und dann wünschte ich mir, die Augen nicht geöffnet zu haben, denn was ich da sah, riss mich in einen Strudel von Empfindungen hinein, wie ich sie selten oder noch nie in dieser Form erlebt hatte.
Jetzt wusste ich, wo mein Kreuz war.
Es hing vor Justine Cavallos Brust!
***
Nein, nein, nein - verdammt! Das konnte nicht wahr sein. Das stimmte nicht. Das war unmöglich.
Ich hätte schreien können, aber ich riss mich zusammen, und nicht mal ein Stöhnlaut der Enttäuschung drang über meine Lippen. Es war furchtbar.
Ich zwinkerte. Ich schloss die Augen, öffnete sie wieder, aber das Bild blieb das Gleiche.
Das Kreuz hing tatsächlich vor Justines Brust!
Für mich hatte sie keinen Blick. Sie sprach mit Glenda. Ich hörte nicht, was die beiden da zu reden hatten, mir schoss nur der Gedanke durch den Kopf, wie ich es schaffen konnte, wieder an mein Kreuz heranzukommen. Ich war zu schwach. Ich hätte auch mit normalen Kräften ausgerüstet meine Probleme gehabt, denn sich mit der blonden Bestie anzulegen, das war für einen Menschen nicht ratsam.
Dann durchschoss mich eine andere Frage! Wie war es möglich, dass sie das Kreuz überhaupt tragen konnte? Seine Kräfte zerstörten alles Böse. Vampire vergingen. Sie wurden zu Staub. Sie verfaulten vor den Augen des Betrachters.
Nicht bei ihr!
Oder war es nicht mein Kreuz?
Auch das konnte sein, doch ich wehrte mich gegen den Gedanken, denn ich brauchte nur an meine Brust zu
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