1264 - Justines Geisel
nicht fit war. Auch jetzt ging es mir nicht besonders, und ich hatte schon große Mühe gehabt, auf die Beine zu kommen. Aber auch die anderen hatten nicht eben einen Freudentaumel erlebt, und so hatte ich die Zähne zusammengebissen und stand wieder, wenn auch noch angeschlagen.
Auch ich hatte meine Waffe gezogen, sodass Justine jetzt im Kreuzfeuer stand. Von einer derartigen Szene hatte ich immer geträumt. Wir hatten die blonde Bestie im Griff, das war super, doch seltsamerweise konnte ich mich darüber nicht so recht freuen.
Der Grund hing um Justines Hals. Sie hatte es geschafft. Ich würde ihr das Kreuz wieder abnehmen, aber ich wollte auch wissen, durch welchen Trick es ihr gelungen war, an meinen Talisman zu gelangen. Sie hätte vergehen müssen, verbrennen, wie auch immer, aber das war nicht passiert.
Ihre Pupillen bewegten sich. Mal schaute sie mich an, mal Suko, und sie sprach mich an.
»Du denkst an dein Kreuz, nicht?«
»Das kann ich nicht leugnen.«
»Steht es mir nicht gut?«
»Bestimmt nicht. Mich würde nur interessieren, wie du es geschafft hast. Ich gebe zu, dass es eine verdammt große Leistung ist, und ich hätte mir nie träumen lassen, mein Kreuz am Körper einer verdammten Blutsaugerin zu sehen.«
»Man muss eben schlau sein und gewisse Dinge einfach überlisten, Sinclair.«
»Das gebe ich zu. Wie schlau bist du denn gewesen?«
»Es ist dein Kreuz, das stimmt. Aber es ist etwas damit geschehen, Sinclair. Ich habe es manipuliert. Ich habe ihm einfach die Kraft genommen, nicht mehr und nicht weniger.«
»Wie?«
Sie spitzte die Lippen, als sie die Antwort gab. »Wachs, einfach nur Wachs. Heißes flüssiges Wachs. Oder warum wohl habe ich diese Feuerstelle errichten lassen?«
Ja, verdammt, das stimmte. Es gab die Feuerstelle, über die ich mich schon gewundert hatte. Bei unserem ersten Besuch war sie nämlich nicht hier gewesen.
Zwar hatte ich nicht den Eindruck, als wäre mir der Boden unter den Füßen weggerissen worden, aber ich spürte schon einen leichten Schwindel und ein verflucht ungutes Gefühl darüber, dass es letztendlich so einfach war, mein Kreuz zu manipulieren und ihm die Kraft zu nehmen. Aber sie hatte es raffiniert gemacht, das musste ich ihr zugestehen, auch wenn ich es nicht gern tat und es für mich behielt.
Momentan tat sich nichts. Wir warteten ab und belauerten uns. Justine stand zwischen den beiden Pistolenmündungen. Es wäre ein Leichtes für uns- gewesen, ihr von zwei Seiten geweihte Silberkugeln in den Kopf zu schießen, aber das taten weder Suko noch ich.
Justine Cavallo war keine normale Vampirin. In der Hierarchie der Blutsauger gehörte sie zur Spitzengruppe und stand praktisch auf einer Stufe mit Will Malimann, alias Dracula II. Sie wusste Bescheid, sie kannte Verbindungen, sie kannte Pläne für die Zukunft, und genau die interessierten uns.
Deshalb musste es uns gelingen, sie zum Reden zu bringen, was nicht leicht sein würde.
Besonders die Pläne waren wichtig. Oder ein Plan, denn der drehte sich um Wesen, die ebenfalls so ungewöhnlich waren wie die Vampire. Es ging um die Engel und da besonders um eine bestimmte Gruppe von Engeln, in deren Welt sie eingedrungen war.
Sie hatten ihre Todesboten geschickt, die unheimlichen Sauger, und sie hatten Jagd auf die Engel gemacht. Sie hatten sich regelrecht an ihnen festgebissen und ihr Blut oder was immer es war, getrunken, um noch mehr Macht zu bekommen und auch, um in andere Sphären eindringen zu können. Dieser Fall war noch nicht erledigt. Suko und ich hatten beide nicht vergessen, dass Justine den Kopf des getöteten Engels Jamiel geraubt hatte und damit verschwunden war.
Sie hatte etwas damit vor, und genau das wollte ich herausbekommen.
Ich hatte das Gefühl, dass es nur ein Anfang war. Es wäre also sinnlos gewesen, ihr jetzt die Silberkugeln in den Kopf zu schießen.
Aber eines störte mich.
Ich konnte nicht mehr ertragen, dass vor ihrer Brust mein Kreuz hing. Dabei war es egal, ob es nun mit einer Schicht aus Wachs beklebt oder normal war. Das Wachs ließ sich leicht abschmelzen. Man brauchte es nur zu erwärmen.
Sie wich meinem Blick nicht aus. Der Ausdruck ihrer Augen gefiel mir nicht. Angst zeigte sie nicht, sondern eine Sicherheit und einen Eigensinn, den ich als provokant ansah.
»Nimm es ab!«, flüsterte ich Justine zu. »Nimm das Kreuz ab! Es gehört dir nicht!«
Meine Forderung amüsierte sie, denn anders konnte ich das Lächeln nicht deuten.
»Weg
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