1264 - Justines Geisel
Gefühl. Zwar konnte er hören, aber längst nicht mehr so gut wie sonst, und die eigenen Schrittgeräusche kamen ihm ganz leise vor.
So kam es ihm beinahe wie ein kleines Wunder vor, dass er die Melodie des Handys vernahm. Er hatte vergessen, den Apparat abzustellen, und er ärgerte sich jetzt, dass sich das Telefon in einem Augenblick meldete, an dem er es wirklich nicht gebrauchen konnte.
Inzwischen hatte die Dunkelheit ihr Gewand über das Gelände ausgebreitet. Suko stellte sich neben eine halb zusammengebrochene Wand und nutzte den Schatten aus.
Er meldete sich, weil sein Pflichtbewusstsein einfach der Sieger blieb.
»Ja?«
»Ich bin es nur, Suko.«
Sir James' Stimme hörte sich für Suko leise an, obwohl er sicherlich normal sprach.
»Was gibt es, Sir?«
»Ich rufe ja nicht oft an, aber in diesem Fall habe ich keine Ruhe gehabt. Sind Sie weitergekommen? Haben Sie eine Spur von Glenda Perkins? John konnte ich nicht erreichen und…«
»Nein, Sir, ich habe keine Spur von Glenda. Auch nicht von John. Aber ich muss davon ausgehen, dass ich zu spät komme und die andere Seite schneller gewesen ist.«
»Was sagen Sie da?«
Suko spürte das Kratzen im Hals, als er es erneut zugab. »Tut mir Leid, Sir, aber das ist nun mal so. Das Schicksal lässt sich von uns leider nicht leiten.«
»Können Sie in Ruhe sprechen?«
»Noch geht es.«
»Dann möchte ich wissen, was geschehen ist.« Auch in der Stimme des Superintendenten war die Spannung nicht zu überhören. Er war zwar kein Mann der »Front«, aber er wusste genau, um was es ging und wie gefährlich die andere Seite war.
Suko konnte ihm nicht viel sagen, aber er konkretisierte seine Befürchtungen und sprach davon, dass sie eventuell den Kürzeren gezogen hatten.
Sir James versuchte, sachlich zu bleiben. »Aber entsprechende Beweise haben Sie nicht - oder?«
»Nein, Sir!«
»Dann… dann wird es wohl sehr schwierig werden, denke ich mir.« Er kam nicht direkt auf Glenda und John zu sprechen, sondern bot seine Hilfe an.
»Die möchte ich nicht annehmen, Sir. Wenn hier Polizisten erscheinen, wird es ganz vorbei sein.«
Sir James dachte nur kurz nach. »Ja, das glaube ich Ihnen sogar. Sie werden also versuchen, die Kastanien allein aus dem Feuer zu holen, nehme ich an.«
»Das muss ich, Sir.«
»Dann… dann…«, seine Stimme wurde noch leiser für Sukos Ohren. »Dann wünsche ich Ihnen alles Gute.«
»Danke.«
Suko ließ sein Handy wieder verschwinden, strich mit einer Handfläche den Schweiß aus der Stirn.
Nach wie vor war sein Ziel das leere Fabrikgebäude, das er und John so gut kannten. Suko hätte nur nicht daran gedacht, es so schnell wieder zu sehen, aber das Leben spielte eben nicht immer so, wie es sich die Menschen wünschten.
Er dachte auch an die beiden Selbstmord-Vampire, die vom Druck der Explosion zerrissen worden waren. Weitere dieser Wesen hatte er nicht gefunden.
Suko schlich durch das Gelände. Er dachte jetzt nicht mehr daran, große Umwege zu machen, denn die fortschreitende Zeit stand jetzt auf seiner Seite. Es war einfach zu dunkel geworden. Auf der stillgelegten Baustelle waren auch die Scheinwerfer abmontiert worden, sodass es praktisch kein Licht mehr gab.
Es war auch still. Da sich Sukos Gehör wieder einigermaßen normalisiert hatte, nahm er die Stimmen wahr, die ihm schwach entgegenwehten. Nicht nur Stimmen, sondern auch das harte Lachen einer Frau.
Er kannte es.
Sekundenlang fühlte er sich wie in einer Eiskammer eingeschlossen, denn zugleich hasste er das Lachen dieser verdammten Person. So lachte nur Justine Cavallo. Und wenn sie dann auf diese Art und Weise lachte, dann stand für Suko fest, dass sie sich auf der Siegerstraße befand.
Dieses Lachen trieb ihn an. Aber er vergaß seine Vorsicht nicht. Justine Cavallo war mit allen Wassern gewaschen. Bei ihr musste man davon ausgehen, dass sie noch immer einen Trumpf aus der Hinterhand hervorzog.
Suko erreichte die leere Halle. Der Eingang war nicht geschlossen. Das große Tor stand weit offen, aber Suko ging nicht direkt darauf zu. Er näherte sich ihm von der Seite.
Er hatte beim Herkommen aus einer bestimmten Entfernung in die Halle hineingeschaut und auch das Feuer gesehen. Ob es jetzt noch brannte, wusste er nicht. Er ging davon aus, dass es verloschen war, da er keinen Rauch wahrnahm.
Dicht neben dem offenen Tor blieb er stehen, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Das Lachen hörte er nicht mehr. Dafür die Stimmen. Einmal sprach Glenda, zum
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