1267 - Flucht aus Elysium
damit hatte sie nicht gerechnet. „Verzeih uns", sagte sie auf Sothalk, nachdem die erste Überraschung sich gelegt hatte. „Wir wußten nicht, daß du zuhörst."
„Ich höre immer zu", versicherte das Schiff. „Ich bin ein Einsamer, und Einsame sind neugierig."
Irmina beschloß, die Gelegenheit beim Schöpf zu packen. „Du nennst dich den Kranken", sagte sie. „Du weißt also, daß du krank bist."
„Seit langer Zeit", antwortete das Schiff. „Es wird immer schlimmer. Der Aufwand, den ich zur Aufrechterhaltung meiner Gesundheit betreiben muß, wird immer größer. Und doch geht es mir von Tag zu Tag schlechter."
„Weißt du, welche Art von Krankheit du hast?" fragte Irmina. „Nein. Ich spüre nur, daß in meinem Leib nicht alles mit rechten Dingen zugeht."
„Ich kenne die Funktionen deines Körpers bisher nur oberflächlich ...", begann die Mutantin und wurde sofort unterbrochen. „Du kennst sie nur oberflächlich? Woher kennst du sie überhaupt? Ich bin dir ein Fremder. Du hast ein Wesen wie mich noch nie zu Gesicht bekommen. Woher beziehst du deine Kenntnisse?"
Wahrheit, entschied Irmina, ist die beste Taktik. „Ich sehe in dich hinein", sagte sie. „Nicht nur ich, mein kleiner Gefährte hier besitzt diese Fähigkeit ebenfalls."
„Das ist erstaunlich", antwortete das Schiff nach kurzem Zögern. „Ich habe noch nie von Geschöpfen gehört, die so etwas können. Du kennst die Art meiner Krankheit?"
„Ja", sagte Irmina fest. „Ist sie gefährlich?"
„Sie ist tödlich."
Eine Zeitlang herrschte Schweigen. Dann erklang es wie ein hohles Sausen, als ob ein steter, aber kräftiger Wind um eine Gebäudeecke führe. Die Mutantin nahm es beklommen zur Kenntnis: Das Schiff hatte geseufzt. Die Menschlichkeit der Äußerung machte sie betroffen. „Ich habe es schon immer gewußt, aber nicht glauben wollen", sagte die tiefe Stimme. „Wieder einer aus dem Volk der Kker geht dahin." Noch einmal machte das Schiff eine Pause; dann fügte es resignierend hinzu; „Nun, ich nehme an, daran läßt sich nichts ändern. Niemand ist unsterblich."
„Unsterblich vielleicht nicht", sagte Irmina. „Aber das Leben verlängern könnte man dir womöglich."
„Ist das wahr?" fragte das Schiff voller Eifer. „Mein Gefährte und ich, wir können nicht nur in dich hineinsehen, wir können auch die Funktionen deines Körpers beeinflussen. Ich halte es für möglich, daß du wieder gesund gemacht werden kannst."
Diesmal hatte es anscheinend dem Schiff die Sprache verschlagen. Eine ganze Weile verging, bevor es sich wieder meldete. Die Erregung war seiner Stimme anzuhören. Die Worte kamen stockend. „Wenn ... euch das gelänge ... ich wäre euch für immer dankbar!"
„Wir wollen es versuchen", entschied Irmina. „Du hast uns aufgenommen und Schutz vor Volcayr geboten. Wir schulden dir etwas."
„Ich bin ein kräftiges Schiff", versicherte das Schiff. „Ich will euch zu Diensten sein, wenn ihr mich gesund macht. Ich trage euch, wohin ihr wollt ..."
„Wir haben unser eigenes Fahrzeug, danke", wehrte die Mutantin ab. „Laß uns zuerst an das Wichtige denken. Noch wissen wir nicht, ob uns die Heilung gelingt. Gibt es Räume in deinem Leib? Je näher wir dem Zentrum deines Bewußtseins sind, deinem Gehirn, desto leichter wird die Arbeit für uns."
„Ich kann Räume schaffen, wo ihr sie benötigt", versicherte das Schiff. „Schau her, ich will dir den Weg weisen."
In der milchigen Helligkeit blitzte ein grünes Signal auf. Irmina zögerte keine Sekunde. Sie trug dem Boot auf, dem Leuchtzeichen zu folgen.
Das große Abenteuer begann.
Es war eine unheimliche Umgebung. Das Boot ruhte auf dem Grund einer Körperhöhlung, die von gänzlich unregelmäßiger Form war - erzeugt von Muskeln, die Gewebe auseinanderzogen und Platz schufen für die beiden Fremden, die den Kranken heilen wollten.
Irmina Kotschistowa und der Gnom Kido waren ausgestiegen. Irmina hatte es gewagt, den Helm ihrer Montur geöffnet zu lassen. Sie war angenehm überrascht worden. Die Luft im Innern des Schiffskörpers war frisch und kühl. Es haftete ihr ein Geruch nach Hefe an, den die Nase widerspruchslos akzeptierte.
Der Boden, auf dem Irmina schritt, war von erstaunlich fester, leicht federnder Konsistenz. Von den Wänden ging das geheimnisvolle, milchige Leuchten aus, das das Schiff mit Hilfe seiner Körperchemie erzeugte. Die Wände selbst besaßen einen grauen bis braunen Grundfarbton, der jedoch in vielen Nuancen gemasert erschien.
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