1267 - Flucht aus Elysium
Celsius. Die relative Luftfeuchtigkeit lag bei 100 Prozent, und das Licht rührte von chemischen Vorgängen her, die sich in den Wänden des Hohlraums abspielten.
Es gab keinen Zweifel mehr daran, daß es sich bei dem Raumschiff, in dessen Innerem sich das Boot befand, um ein organisches, lebendes Gebilde handelte. Zuerst hatte Irmina Kotschistowa geglaubt, die Stimme, die in der Sprache des Kriegers, Sothalk, zu ihr sprach, müsse von einer Aufzeichnung kommen. Inzwischen jedoch wußte sie, daß das Schiff selbst die Fähigkeit des Sprechens besaß.
Das Wunder des lebenden, intelligenten Schiffes nahm die Mutantin so gefangen, daß sie alles vergaß, was sie noch vor einer Stunde bewegt, hatte: die Verfolgung durch den Elfahder Volcayr, die überstürzte Flucht vom Raumschiff des Ringingenieurs Be-Luqo, das Abschütteln des Verfolgers durch ein waghalsiges Manöver. Nur das organische Schiff interessierte sie noch. Der fremdartige Organismus hatte sich selbst als den Kranken bezeichnet. Unwillkürlich hatte Irminas mutantischer Spürsinn zu arbeiten begonnen. Mit mentalen Fühlern hatte sie das Zellgefüge des Schiffskörpers sondiert und war dabei auf Strukturen gestoßen, deren Ungewöhnlichkeit sie faszinierte. Die Wißbegierde der Metabio-Gruppiererin war erwacht. Eine Viertelstunde lang hatte sie die Nervenbahnen verfolgt, die sich Hunderte von Metern weit durch den mächtigen Körper zogen, und schließlich die mehrere Tonnen schwere Konzentration an Nervensubstanz lokalisiert, die sie für das Gehirn des Schiffes hielt.
Kido, ihr koboldhafter Begleiter, den sie auf der Welt Maghala vor dem sicheren Tod bewahrt hatte, war bei den ersten Worten der Schiffsstimme in wilder Panik geflohen und hatte sich in ein Versteck verkrochen. Inzwischen war er wieder zum Vorschein gekommen. Er besaß ähnliche Fähigkeiten wie Irmina. Auch er verfügte über mentale Sonden, mit denen er das Zellgefüge eines beliebigen organischen Körpers durchleuchten und Eingriffe vornehmen konnte. Im Verlauf der Therapie, die Irmina ihm auf Maghala hatte angedeihen lassen, hatte er zwar seine gesamte Erinnerung verloren. Aber seine mutantische Fähigkeit war wiedererwacht.
Kido hielt die schrägen Augen unter den dicken Brauenwülsten geschlössen, was darauf hinwies, daß er sich im Zustand intensiver Konzentration befand. Die Lippen des dreiecksförmigen Mundes hatte er fest zusammengepreßt, so daß sie inmitten der vielen Falten, die sein graues Gesicht kennzeichneten, kaum noch zu sehen waren. So hatte er die vergangenen zehn Minuten auf dem Boden gekauert. Als er jetzt plötzlich die Augen öffnete, die Arme von den Beinen löste und aufsprang, tat er das so heftig, daß Irmina unwillkürlich erschrak. „Du störst mich", beschwerte sie sich. „Ich hatte soeben eine völlig neue Zellstruktur entdeckt."
„Ach Was", keifte der Gnom. „Du denkst nur an deine Neugierde, während ich mich mit dem Wichtigen befasse."
„Und was ist das Wichtige?" erkundigte sich die Mutantin mit nachsichtigem Lächeln. „Er sagt, er sei der Kranke, nicht wahr?" trumpfte Kido auf. „Meinst du, er nennt sich so zum Spaß?"
„Du hast ...?" begann Irmina erstaunt. „Ja, ich habe." Kido nickte gewichtig. Die Unterhaltung wurde auf Interkosmo geführt. Der Gnom hatte sich in den Wochen des Zusammenseins mit Irmina als wahres Genie im Erlernen von Sprachen entpuppt. „Ich habe mich umgesehen und bemerkenswerte Entdeckungen gemacht. Unser Freund ist in der Tat krank. Überall in seinem Körper finden sich Wucherungen, die sich mit bemerkenswerter Schnelligkeit ausbreiten und von den üblichen biophysischen Regelmechanismen nicht mehr unter Kontrolle gehalten werden können."
Irmina erschrak. „Das Schiff leidet an Krebs?" fragte sie ungläubig. „So würde man es in deiner Sprache wohl nennen", bestätigte der Gnom. „Ihr seid nicht freundlich zu mir", meldete sich in diesem Augenblick die tiefe, summende Stimme des Schiffes. „Ihr sprecht so, daß ich es nicht verstehen kann."
Vor lauter Staunen wußte die Mutantin im ersten Augenblick nichts zu erwidern. Ihre Unterhaltung mit Kido war in normalem Gesprächston geführt worden. Gewiß, die Schallwellen teilten sich der Hülle des Bootes mit und brachten diese zum Vibrieren - auf eine Art, die nachzuweisen selbst empfindlichsten Meßgeräten schwergefallen wäre. Daß das Schiff über ein Gehör verfügte, das so scharf war, daß es die minimalen Schwingungen der Bootshülle noch wahrnahm -
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