1268 - Shao, der Zombie und wir
die anderen.«
Da hatte sie ein Thema angesprochen, über das sich Shao ebenfalls Gedanken machte. Sie wusste von Li, dass zwei ihrer Kolleginnen verschwunden waren, die in der gleichen Bar gearbeitet hatten wie sie. Man hatte die jungen Frauen nicht viel später gefunden, und es waren grausame Funde gewesen. Sie waren nicht nur getötet worden, sondern man hatte ihnen auch die Beine abgenommen, und genau das wollte Shao nicht in den Kopf. Sie wusste, dass dies nicht grundlos geschehen war und dass die Verbrechen weitergingen - Li war dafür das beste Beispiel -, aber sie konnte sich nicht vorstellen, warum die Opfer so verstümmelt wurden.
Es gab keine andere Lösung, wenn sie näher darüber nachdachte. Irgendjemand brauchte Körperteile für einen bestimmten Zweck, und automatisch kam ihr der Frankenstein-Effekt in den Sinn, denn dieser verrückte Wissenschaftler hatte sich aus Leichenteilen einen neuen Menschen zurechtgebastelt. Das war auch immer wieder von Irren wiederholt worden, und das stets in verschiedenen Varianten.
Was steckte wirklich dahinter? Warum wurden die Menschen getötet? Und warum nur Chinesinnen?
Li stieß sie sanft an. »Warum sagst du denn nichts mehr?«
»Ich denke nur nach.«
»Über mich, wie?«
»Du hast es erfasst.«
Li wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Sie ging neben Shao her und zitterte wieder, was nicht an der Kälte lag. Auch sie machte sich ihre Gedanken, denn ihr war klar, dass die andere Seite längst noch nicht aufgegeben hatte.
Plötzlich fiel ihr etwas ein, was auch mit Shaos Verschwinden zu tun hatte. »Sag mal, wird man dich nicht vermissen?«
»Wenn ich länger wegbleibe, dann schon.«
»Und?«
»Man wird nach mir suchen.«
»Wann denn?«
»Das kann ich dir nicht sagen.«
Li schwieg in den nächsten Sekunden, dann fragte sie mit leiser Stimme! »Lebst du denn allein?«
»Nein, ich lebe mit einem Freund zusammen. Er heißt Suko und ist ebenfalls Chinese.«
»Den kenne ich nicht.«
»Kann ich mir denken. An deinem Arbeitsplatz hält er sich höchstens dienstlich auf.«
Nach dieser Antwort blieb Li stehen, und ihre Hand rutschte aus der Shaos weg. »Dienstlich? Soll das heißen, dass dein Freund… äh… ich meine, kann er bei der Polizei sein?«
Shao musste leise lachen. »Er kann nicht nur bei der Polizei sein, er ist bei der Polizei. Bei Scotland Yard, um genau zu sein. Und er wird alle Hebel in Bewegung setzen, um uns zu finden, Li. Darauf kannst du dich verlassen.«
Li wusste nicht, was sie erwidern sollte. »Traust du ihm das denn zu, Shao?«
»Klar.«
»Und woher nimmst du dein Vertrauen?«
»Das ist ganz einfach. Er weiß ja, wo ich war, und er wird von dort aus die Spur aufnehmen.«
»Wenn das mal nicht zu spät ist«, flüsterte Li.
»Ich will es nicht hoffen.« Shaos Antwort hatte optimistisch geklungen, aber das zeigte nicht ihre wahren Gefühle. Sie war schon skeptisch, wenn sie an ihre Lage dachte und daran, dass Suko es mehr als schwer haben würde, sie aufzuspüren. Er würde erst gegen Abend feststellen, dass seine Partnerin fehlte, und dann war die heiße Spur erloschen. Er kannte seine Landsleute gut genug und wusste, dass sie perfekt schweigen konnten, auch Chinesen selbst gegenüber, wenn es denn sein musste. Und in diesem Fall würde es so sein, denn es hing einfach zu viel davon ab.
»Kannst du nicht wieder Licht machen?« fragte Li ängstlich.
Shao knipste das Feuerzeug an. Die Flamme stand plötzlich wieder über dem Feuerzeug. An der Decke sahen sie den zerfasernden Lichtkreis, an den Wänden das Licht und die Schatten, und die eigenen Gesichter kamen ihnen vor wie in die Luft hineingemalt.
In der Umgebung hatte sich nichts verändert. Sie steckten noch immer in dem gleichen Tunnel, Stollen oder Gang fest. Es gab keine Veränderung. Der Weg führte weder nach oben noch nach unten. Er bewegte sich auf der gleichen Ebene weiter.
»Komm!«
Li wollte nicht. Sie blieb stehen und senkte den Kopf. Sie wirkte plötzlich hilflos und nachdenklich zugleich. Mit leiser Stimme sagte sie dann! »Bitte, Shao, du musst mir eines versprechen.«
»Gern.«
Li zog die Nase hoch. »Versprich mir, dass du… ich meine, dass du nicht sauer bist, wenn wir es nicht schaffen. Ich kann ja nichts dafür. Du hast nichts getan, und ich…«
»Hör auf damit! Was soll das?«
»Ich meine ja nur.«
Shao spürte, das Li Trost brauchte. Und deshalb nahm sie die junge Frau in den Arm. Sie tat nichts und drückte Li einfach nur an sich,
Weitere Kostenlose Bücher