Nachtkrieger: Unendliche Sehnsucht: Roman (Knaur TB) (German Edition)
Die Saga
D ie Winter in England sind allzeit scheußlich gewesen – lausekalt, aber dennoch zu warm, als dass der Schnee auf dem Dach liegen bleiben und eine Behausung behaglich machen würde, und viel zu feucht, als dass die Kleidung jemanden richtig warm halten könnte. Seit Generationen ertrugen die Männer und Frauen dieses unwirtlichen Lands die kalten Monate, so gut sie es vermochten, verkrochen sich in ihren Katen wann immer möglich und suchten sich oftmals Arbeit auf einer Burg oder in einem Herrenhaus, um in den Genuss der wärmenden Feuerstelle ihres Herrn zu kommen.
Einige aber hatten keinen solchen Zufluchtsort, jene, die nicht ganz Mensch, aber auch nicht ganz Tier waren, verflucht durch schwarze Magie, ausgeübt von der Zauberin Cwen, deren Sohn sie getötet hatten, als sie sich eines Schatzes zu bemächtigen suchten, jene nordischen Krieger, die die Hälfte eines jeden Tags in der Gestalt ihrer fylgjur verbrachten – ihrer Schutzgeister –, jeder Mann in der Gestalt eines anderen Tiers. Außerstande, sich über einen längeren Zeitraum unter Menschen niederzulassen, verbrachten sie die meiste Zeit in der Wildnis. Und da Cwen ihnen darüber hinaus Unsterblichkeit verliehen hatte, waren sie Kälte und Feuchtigkeit Winter für nasskalten Winter, Jahrhundert für trostloses Jahrhundert ausgesetzt.
Doch selbst im tiefsten der trüben Winter Englands hegten sie einen Funken Hoffnung, denn Cwens Magie hatte einen Makel, eine Schwäche. Die Wirkung ihres Fluchs war an das Amulett gebunden, das jeder Nordmann an einer Kette um den Hals getragen hatte, und er konnte mit Hilfe desselben, gepaart mit der Macht der wahren Liebe, gebrochen werden. Im Wissen darum hatte Cwen ihre Männer ausgesandt, auf dass sie die Amulette im ganzen Land verstreuten – im Glauben, sie würden niemals gefunden werden. Doch zweien der nordischen Krieger war es bereits gelungen, beides zu finden, sowohl ihre Amulette als auch die Frauen, die sie lieben konnten, obwohl sie wussten, was sie waren, und ihr Sieg ließ Cwen schwer verwundet und mit geschwächter Macht zurück.
Erzürnt über den Triumph der Nordmänner, machte sich Cwen daran, ihre Zauberkraft zurückzugewinnen – entschlossen, die restlichen sieben Krieger daran zu hindern, ebenfalls den Fluch aufzuheben, denn sie hatte die Absicht, sie bis in alle Ewigkeit leiden zu lassen, sie zu quälen, sie ihrer Hoffnung auf Glück ebenso beraubt zu wissen, wie die Männer sie, Cwen, beraubt und mit kaltem und leerem Herzen zurückgelassen hatten. Als das Jahr des Herrn 1407 sich dem Ende zuneigte, hatte sie genügend Kraft zurückgewonnen, um einen wahrhaft kalten Winter über England niedergehen zu lassen – einen Winter, wie die Nordmänner ihn aus ihrer Heimat kannten.
Doch ohne die Langhäuser von Vass, die ihnen mit ihren Blockwänden und den mit Grassoden bedeckten Dächern einst Wärme gespendet hatten, waren die Krieger nicht für einen solchen Winter gerüstet – und das Volk von England noch weniger. Die Kälte breitete sich über das Land aus wie der Tod, Woche für bitterkalte Woche. Schnee bedeckte die Hügel. Flüsse und Quellen gefroren zu Eis. Vögel verendeten zu Tausenden, erfroren, wo sie hockten.
Und dann kam der Wind, fegte den Schnee von den Dächern und brach die Zweige von den gefrorenen Bäumen ab, verwüstete Katen und Scheunen und türmte den Schnee zu mannshohen Wehen auf, die die Straßen versperrten und es unmöglich machten, zu reisen. In den Dörfern feuerten die eingeschneiten Bauern ihre Herdstellen mit so viel Brennholz wie möglich und brachten die wertvollsten Tiere – trächtige Kühe, die besten Zuchtsäue und Schafe, die Hennen und die Hütehunde – ins Innere, wo auch sie es warm hatten. Die wilden Tiere in den Wäldern und in den Mooren besaßen keine solchen Beschützer. Diejenigen, die konnten, verkrochen sich in ihren Höhlen, um die schlimmste Zeit zu verschlafen. Jene, die dies nicht konnten, rangen mit der Kälte und starben nur allzu oft.
Die Tier-Krieger jedoch konnten weder den Winter verschlafen noch Frieden im Tod finden, da sie unter Cwens Fluch standen. Sie errichteten grobgezimmerte Unterkünfte oder suchten Zuflucht in verlassenen Hütten, aber die Kälte wollte und wollte nicht nachlassen, Woche um eisige Woche, und so erwiesen sich auch diese Behausungen letztendlich als zu dürftig.
Einer, der ebenfalls frieren musste, als der Winter härter und härter wurde, war Gunnar, Sohn des Hrólfr, genannt
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