1270 - Belials Liebling
schien fehl am Platze zu sein.
Auch die Kleine tat nichts. In diesem kalten Licht wirkte sie wie ein Fremdkörper. Der Vergleich mit einem vom Himmel gefallenen Engel kam ihm in den Sinn. Das war natürlich Unsinn. Sie war kein Engel, sondern ein normaler Mensch.
Er musste sich schon zusammenreißen und nickte seiner Besucherin schließlich zu.
»Hi…«
Eine blöde Anmache, das gestand er sich selbst. Aber es waren ihm keine anderen Worte eingefallen.
Das Mädchen bewegte sich nicht oder kaum. Es konnte sein, dass sie kurz genickt hatte, aber sicher war er sich da auch nicht.
»Musst du zur Toilette?« Auch eine dumme Frage, aber hier unten lag sie auf der Hand, und damit entschuldigte er sich.
Die Kleine sagte wieder nichts.
»Bitte… äh… bist du allein? Warten deine Eltern oben oder andere Leute, die du kennst?«
Zum ersten Mal erlebte Caresi einen Erfolg, denn die Kleine, die er auf acht oder neun Jahre schätzte, schüttelte den Kopf. Nun ja, immerhin hatte sie ihn verstanden, und den übrigen Panzer würde er auch noch brechen.
Er wollte es noch genauer wissen, nickte ihr ebenfalls zu und flüsterte: »Du bist allein?«
»Ja.«
Ha, jetzt hatte er ihre Stimme vernommen. Er war froh darüber und atmete innerlich auf. So anders war das Kind auch nicht. Vielleicht konnte er dem Mädchen helfen. Es sah wirklich so aus, als hätte es sich verlaufen, aber auf der anderen Seite machte es diesen Eindruck nicht. Und seine Puppe hielt es fest wie eine Beute, die es nie mehr im Leben loslassen wollte.
»Hast du auch einen Namen?«, fragte Caresi.
»Ich bin Julie…«
»Aha. Ein schöner Name, wirklich. Julie.« Er lächelte. »Kannst du mir auch sagen, was du hier unten zu suchen hast?« Komisch, Tino wollte noch immer nicht glauben, dass sie gekommen war, um zur Toilette zu gehen.
»Ich schaue mich um.«
»So allein?«
»Ja.«
»Warum? Wo sind deine Eltern?«
»Tot!«
Tino Caresi konnte nicht anders. Er musste schlucken, und er hätte sich beinahe sogar verschluckt.
Er merkte, wie sein Herz schneller schlug und spürte einen kalten Schauer auf seinem Rücken. Er glaubte Julie, doch er fragte sich, was diese junge Waise dann um diese Zeit hier unten tat.
War sie irgendwo weggelaufen? Hatte sie es in einem Heim oder bei der Verwandtschaft nicht mehr ausgehalten?
Es konnte auch sein, dass sie ihn anlog und ihr Spielchen mit ihm trieb. Sein Blick glitt von Julie weg und erfasste die Puppe. Er konnte sich geirrt haben, und deshalb schaute er genauer hin. Wenn ihn nicht alles täuschte, besaß die Puppe die gleichen Gesichtszüge wie das Mädchen selbst, wenn nicht ähnliche. Nur war deren Haar schwarz, und wenn er genauer hinblickte, dann sah das Gesicht der Puppe irgendwie böse aus. Es war längst nicht so offen wie das ihrer Besitzerin. Je länger er hinschaute, desto mehr verstärkte sich das Gefühl. Dazu mochten auch die dunklen Augen beitragen, die in den Höhlen lagen wie glänzende Knöpfe. Der Mund war klein, zudem verzogen, und sehr helle Zähne lugten zwischen den Lippen hervor. Es konnte sogar sein, dass sie irgendwelche Spitzen besaßen, und plötzlich kam ihm das Bild einer Vampirpuppe in den Sinn.
Aber das konnte es auch nicht sein. Das durfte es nicht sein. Ein derartiges Spielzeug gab es nicht.
Tino konnte es sich zumindest nicht vorstellen. Auf dem Kleid und dicht unter den beiden halbrunden Kragenhälften malten sich einige Flecken ab. Sie waren dunkler als der Stoff. Da dachte er plötzlich an Blut, obwohl er sich mit dem Gedanken nicht anfreunden konnte.
Er blieb bei dem letzten Thema. »Und… äh… deine Eltern sind wirklich tot?«
Sie nickte wieder.
Oh Scheiße! dachte er und strich über sein dunkles Haar hinweg.
»Was willst du denn hier?«
»Geh lieber…«
»Bitte?«
»Geh hier weg!«
Verstanden hatte er sie, nur nicht begriffen, und deshalb schüttelte er den Kopf. »Warum soll ich denn hier weggehen, Julie? Ich habe noch Dienst. Er dauert bis zum Feierabend. Ich kann dich natürlich schützen und der Polizei übergeben. Es ist nicht gut, wenn ein Mädchen um diese Zeit hier herumläuft. Das musst du verstehen. Vielleicht bist du auch ausgerissen, aber du musst zurück. Ich weiß, dass es nicht toll ist, in einem Heim zu sein, das ist mir alles klar, aber sonst… na ja… du musst eben hören auf das, was ich gesagt habe.«
Er ärgerte sich über seine eigenen Worte. Er hatte zu viel und nicht das Richtige gesagt, nur war ihm nichts anderes eingefallen, und
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