1274 - Der Wolf und das Mädchen
Kinderbüchern zu sehen und auch die große Kiste mit den Spielsachen. Aus der prall gefüllten Kiste schauten die Köpfe weiterer Puppen hervor, die Caroline so mochte. Sie hatte jeder Puppe einen Namen gegeben und sogar für sie eine kleine Vita gebildet.
Die beiden Lieblingspuppen ließ sie im Bett liegen, als sie aufstand und zum Fenster ging.
Zwei Quer- und zwei Längsbalken unterteilten es. Das Fenster ließ sich nur schwer öffnen, und auch jetzt wollte Caro es geschlossen lassen, aber sie hatte sich vorgenommen, nach draußen zu schauen, um zu sehen, ob die Nacht ein Geheimnis freigab.
Zunächst sah sie nichts, obwohl sie dicht an der Scheibe stand. Der Blick verlor sich in der Dunkelheit, die wie ein Schatten über der Umgebung hing und auch den Wald nicht losgelassen hatte. Wo er wuchs, war es noch dunkler.
Aber es gab auch den Mond. Von seinem runden Gesicht streute das Licht nach unten. Es war ein blasser, etwas unheimlicher Schein, der sich über der Gegend verteilte. Caroline mochte die Sonne, aber sie liebte auch den Mond, denn beide Gestirne gehörten zum Leben.
Der Tag, die Nacht…
Sie trat noch näher an die Scheibe heran, aber ihre Sicht wurde nicht besser. Das Zimmer lag an der Seite des Hauses. Hätte sie um die linke Ecke schauen können, dann hätte sie den Vordereingang sehen können, an dem auch die kleine Bank stand, auf der sie so oft mit ihrer Großmutter saß.
Dann erzählten sich beide viel Geschichten und freuten sich darüber, dass sie sich so gut verstanden.
Das gab Caro gern zu. Beide verstanden sich prima. Sie fühlte sich zu der Großmutter eher hingezogen als zu der eigenen Mutter. Es lag auch daran, dass Wendy in London lebte und nur sporadisch zu Besuch kam. Sie hatte dann immer wieder ein etwas schlechtes Gewissen, was sie auch deutlich machte, aber Caro winkte jedes Mal ab. Ihre Mutter brauchte sich um sie keine Gedanken zu machen.
Trotz des Vollmonds war die Nacht sehr dunkel. Dem Kind kam es vor, als hätte er einen Teil des Lichts zurückgehalten, denn sie kannte wirklich Nächte, die heller waren.
Ein paar Häuser des Dorfes waren auch zu sehen. Da schimmerten die Lichter wie helle Inseln, die in einem weit entfernten dunklen Meer schwammen. Überhaupt kam ihr diese Welt so vor, als wäre sie der Realität entrückt und hätte sich dorthin zurückgezogen, wo sie den Menschen verborgen blieb. In geheimnisvolle Reiche und Länder, die für die Leute unsichtbar waren, für die aber bestimmte Menschen ein Faible und Gefühl hatten, so wie Caroline.
Sie lächelte vor sich hin. Plötzlich überkam sie der Drang, das Haus zu verlassen und nach draußen zu gehen. Sie stellte sich vor, mit ausgebreiteten Armen im Mondlicht zu stehen, wie das Mädchen aus den Sterntalern, das allein in den Wald gegangen war.
So kam auch sie sich vor.
Allein, umgeben von den dunklen hohen Bäumen und dem Flüstern des Windes lauschend.
Ohne es eigentlich zu wollen, hatte Caroline ihren rechten Arm gehoben. Wenn sie die Hand ausstreckte, schaffte sie es soeben, den Griff des Fensters zu erreichen. Sie musste dann noch etwas Kraft aufwenden, um ihn zu drehen.
Der Griff bestand aus Metall. Caro spürte die Kühle, und genau die tat ihr gut.
Sie drehte den Griff.
Hoi, diesmal klappte es schon beim ersten Versuch, und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
Ein kurzer Ruck. Das Fenster klemmte noch. Caro musste nachlegen, tat es auch - und kam nicht mehr dazu, das Fenster ganz aufzuziehen, denn genau in diesem Moment hörte sie einen schrecklichen Laut.
Es war ein schauriges Heulen, und es drang ihr nicht aus dem Wald entgegen, denn es schien überall zu sein.
Die Bestie war da!
***
Gloria Crane saß auf der kleinen Bank, als wäre sie dort festgeleimt worden.
Die Frau mit den grauen Haaren konnte nicht reden. Sie konnte nicht mal denken, und sie schaffte es auch nicht, sich zu bewegen. Alles war in diesen Momenten anders geworden, doch ein Satz sägte förmlich in ihren Kopf hinein.
Der Mörder war unterwegs!
Eine vierbeinige Bestie! Und wieder kam sie, als der Vollmond am Himmel stand. Sie schlich auf ihren weichen Pfoten durch die Nacht, sie war dabei, sich Opfer zu suchen, die später dann von anderen Menschen in der Tiefe des Waldes gefunden wurden.
Nicht mal zu atmen wagte die Frau. Sie hielt die Luft an und lauschte in die Stille hinein, denn das Heulen hatte aufgehört.
Es kam ihr vor, als wäre es nach dem schaurigen Heulen besonders still geworden. Da hielt nicht nur
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