1276 - Spielplatz der Hölle
Menschen waren dort zu Bett gegangen. Es gab noch genügend Fenster, die erhellt waren und ihn jetzt wie ferne Augen grüßten.
Er stemmte sich hoch. Blieb dabei noch im Kontakt mit dem Boden und hob nur den Oberkörper leicht an. Er konzentrierte sich wieder auf seinen Kopf und stellte fest, dass sich die Schmerzen in Grenzen hielten, wenn er ihn langsam bewegte.
Dann löste er auch die Hände von dem feuchten Untergrund. Das Rad lag hinter ihm, doch das störte ihn nicht. Er würde es in dieser Nacht nicht mehr benutzen.
Etwas störte ihn!
Günther Koch wusste selbst nicht, was es war. Aber es war vorhanden. Er hörte es. Das Geräusch blieb leise und verstärkte sich kaum, aber es kam näher.
Koch dachte daran, dass es eine Ursache geben musste. Er konnte auch wieder so weit denken, um davon auszugehen, dass er so etwas wie Schritte gehört hatte.
Seine Haut zog sich zusammen. Das Herz klopfte wieder stärker. Jeder Schlag hinterließ bei ihm ein Echo im Kopf, aber darauf achtete er nicht. Er hatte herausgefunden, dass sich die Laute von der rechten Seite her näherten, und so drehte er langsam den Kopf.
War es ein Schatten, der über den Boden schlich?
Nein, das war es nicht. Es war bereits die Gestalt, die sich herangeschlichen hatte. Sie war über das Feld gekommen, ging jetzt an ihm vorbei und blieb vor ihm stehen, ohne etwas zu unternehmen. Sie stand einfach nur da und schaute nach unten.
Günther Koch hatte sie noch nicht richtig zu Gesicht bekommen, und trotzdem wusste er, mit wem er es zu tun hatte. Wenn er den Kopf etwas anhob, sah er sie ganz.
Er tat es!
Wie ein Klotz stand sie vor ihm. Er sah den langen Mantel oder auch den Umhang. Sein Blick glitt noch höher und erfasste das Gesicht, von dem nicht viel zu sehen war. Die breite, nach unten gezogene Hutkrempe verwehrte ihm die Sicht.
Unter der Krempe schimmerte es heller. Dort befand sich der widerliche Mund des Mannes, der es tatsächlich gewagt hatte, sich an einer Leiche zu…
Günther Kochs Gedanken brachen ab, weil sich die Gestalt bewegte und sich ihm entgegenbeugte.
Plötzlich war die Angst da!
Koch hatte sie in seinem gesamten Leben noch nie so stark bemerkt. Sie war in ihm hoch geschossen und hatte seinen Kopf erfasst. Er hatte das Gefühl, als sollte sein Körper an verschiedenen Stellen gesprengt werden. Er wusste nicht, was er dagegen unternehmen konnte. Wahrscheinlich gar nichts, und seine Gedanken brachen in dem Augenblick ab, als ihn kalte Totenhände umfassten…
***
Harry Stahl saß bereits hinter dem Steuer und hatte sich angeschnallt. Dagmar Hansen, seine Partnerin, warf sich auf den Sitz und tat das Gleiche.
Der Motor des Opels schnurrte leise, bevor der Wagen sich in Bewegung setzte.
Sie mussten den Weg zurück, und sie konnten nur hoffen, dass sie sowohl Günther Koch als auch Boris Kelo fanden, die Gestalt, für die Leichen so interessant waren. Leichen oder auch deren Köpfe, so genau stand das noch nicht fest.
Und jetzt war Kelo dabei, Zeugen aus dem Weg zu räumen, die ihn bei seiner makabren Beschäftigung beobachtet hatten. Zu diesen Zeugen gehörte Günther Koch, denn er war in der Leichenhalle, in der Kelo aufgetaucht war, so etwas wie ein Nachtwächter gewesen, der auf die Verstorbenen Acht gab.
Was Kelo genau vorhatte, wussten weder Dagmar noch Harry. Aber er hatte sich am Kopf einer Leiche zu schaffen gemacht, die männlich war und zu Lebzeiten als Professor geforscht und gearbeitet hatte. Der Kopf des Toten war geöffnet worden, als hätte der Täter dort etwas aus ihm herausholen wollen.
Da dieser Fall in den spektakulären Bereich hineinfiel, waren Harry Stahl und seine Partnerin Dagmar Hansen darauf angesetzt worden. Sie sollten ihre Recherchen im Geheimen durchführen, denn derartige Vorgänge brauchten nicht in die Presse zu gelangen. Es passierten schon genug andere Dinge im Lande.
Die beiden hatten sich reingehängt und wie es der Zufall wollte, war in England das Gleiche geschehen. Oder fast das Gleiche, denn dort gab es jemanden, der tatsächlich zwei Köpfe versandfertig nach Deutschland hatte schicken wollen. Postlagernd an einen gewissen Boris Kelo, und genau diese Gestalt jagten sie jetzt.
Dagmar und Harry waren überzeugt, dass es sich dabei um Boris Kelo handelte. Er wollte die Spuren verwischen, es sollte keine Zeugen geben, und Günther Koch war ein Zeuge.
Von seiner Frau wussten sie, dass er sich im Friedhofseck, seiner Stammkneipe, aufhielt. Dort hatten sie ihn nicht gefunden.
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