1276 - Spielplatz der Hölle
versuchen, hier in unsere Wohnung einzudringen?«
»Das kann passieren.«
»Und was sollen wir tun?«, fragte sie nach einer kurzen Atempause.
Dagmar übernahm die Antwort. Sie kam nicht direkt zur Sache, sondern versuchte es mit Diplomatie. »Wie gefährlich diese Gestalt ist, das kann Ihnen Ihr Mann besser berichten. Sie gibt nicht auf. Sie beide wären zu schwach gegen sie, und deshalb würde ich vorschlagen, dass Sie sich in Schutzhaft begeben.«
Gerda Koch sagte nichts, weil die Antwort sie geschockt hatte. Dafür meldete sich ihr Mann.
»In den Knast?«, fragte er krächzend.
»Nein, so ist das nicht«, erklärte Harry. »Wir würden Sie in Schutzhaft nehmen. Da haben Sie praktisch alle Freiheiten. Nur dass man eben auf Sie beide Acht gibt. Und da wird auch dieser Boris Kelo nicht so leicht an Sie herankommen.«
»Wie heißt der Mann?« fragte Gerda.
»Boris Kelo.«
»Hm.« Sie senkte den Kopf und dachte nach.
»Sagt Ihnen der Name etwas?«, fragte Dagmar.
Gerda Koch rieb ihre Hände gegeneinander, als könnte diese Bewegung ihre Gedanken beschleunigen. »Ich weiß nicht«, sprach sie vor sich hin.
»Ich bin mir nicht sicher. Aber ich meine, ihn schon gelesen oder gehört zu haben. So einen Namen vergisst man nicht leicht.«
»Das wäre natürlich gut.«
»Kann ich mir denken. Aber mir fällt es leider nicht ein. Kann sein, dass mal jemand darüber gesprochen hat. Auch das ist möglich. Soll er denn hier wohnen?«
»Das wissen wir nicht«, sagte Dagmar. »Wir hatten noch keine Zeit, uns darum zu kümmern. Ihr Mann stand da im Moment an erster Stelle.«
»Da bin ich auch froh.« Sie erhob sich aus ihrem Sessel und ging zu einem Schrank. Dort öffnete sie eine der unteren großen Schubladen und holte ein dickes Buch hervor. Es war das Telefonbuch der Stadt. »Ich habe zwar keinen Computer und auch kein Internet, aber manchmal hilft das.« Sie legte es auf den viereckigen Tisch mit der gestickten Decke. »Die meisten Menschen besitzen ein Telefon.«
»Okay, dann schauen wir mal nach.«
Plötzlich war die Spannung zu spüren. Es sprach niemand mehr, und nur die Geräusche waren zu hören, die entstehen, wenn jemand die dünnen Seiten umblättert. Diese Aufgabe hatte Harry Stahl übernommen.
»Da ist es!«
»Wo?«, rief Dagmar.
Harry ließ die Spitze des Zeigefingers unter einem fett gedruckten Namen entlanggleiten. Halb laut las er vor. »Kelo's Tier-Boutique…«
»Wahnsinn«, flüsterte Dagmar.
Gerda Koch gab einen Schrei ab. »Genau«, sagte sie, »jetzt erinnere ich mich wieder. Eine Tierhandlung. Ich bin daran vorbeigegangen, und das ist noch nicht lange her. Nicht mal weit von hier weg. Sie liegt in einer schmalen Straße, wo es auch andere Geschäfte gibt. Ich glaube, dass ich dort eingekauft habe, als mir der Name auffiel. Da gibt es nämlich einen Second-Hand-Laden, der auch tolle Hüte führt.«
»Und einen zweiten Eintrag mit diesem Namen gibt es nicht«, fügte Harry noch hinzu.
»Dann haben wir ihn.«
»Genau, Dagmar.«
»Sollen wir hinfahren?«
»Das denke ich schon.«
Sie senkte ihre Stimme. »Und was ist mit der Schutzhaft für die beiden Kochs?«
»Wir könnten sie verschieben. Ich würde vorschlagen, dass du noch bei ihnen bleibst, bis ich wieder zurück bin.«
»Du willst allein los?«
»Ja, Dagmar, ich weiß, dass es gefährlich ist, aber irgendwo müssen wir anfangen.«
»In ein paar Stunden haben wir Hilfe.«
»Trotzdem.«
Dagmar war nicht damit einverstanden. Um das zu erkennen, reichte ein Blick in ihr Gesicht. Harry hatte für Dagmars Reaktion Verständnis, aber jetzt ging es mehr um die Sache als um Gefühle.
»Du hast dein Handy. Lass es eingeschaltet. Ich werde mich melden, wenn ich etwas entdeckt habe.«
»Aber keine Alleingänge.«
»Versprochen.«
So ganz glaubte Dagmar ihm nicht. Sie hielt sich allerdings mit einer Bemerkung zurück und nickte ihm nur zu, wobei ihr Gesichtsausdruck Bände sprach. Darin stand die Sorge um ihren Freund deutlich zu lesen.
»Ich denke, dass ich schnell wieder zurück bin. Ich möchte mir nur ein Bild machen.«
»Ja, aber gib auf dich Acht.«
Harry versprach es und verließ die Wohnung. Wenn er ehrlich war, fühlte er sich auch nicht wohl in seiner Haut. Aber hin und wieder musste man eben über den eigenen Schatten springen…
***
Er hatte sich die Adresse gemerkt und hätte auch zu Fuß hingehen können, aber das hätte ihn nur Zeit gekostet, und so setzte er sich wieder in seinen Wagen, aus dessen Kofferraum
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