128 - Der Schläfer
in den Magen, die ihn zu Boden schickte.
Verzweifelt zog Rulfan die Beine an und stieß Saint Neven mit aller Kraft über sich hinweg.
Kein menschliches Wort drang über dessen Lippen, lediglich ein tierisches, gequältes Knurren, als er sich noch in der Luft drehte und, kaum gelandet, erneut auf Rulfan zusprang.
Die vier gefesselten Octaviane schrien durcheinander. Auch vor der Türe waren Laute des Erschreckens zu hören.
Rulfan kam einfach nicht auf die Beine, zu rasch trommelten die Schläge auf ihn ein. Blut schoss aus seiner Nase, ein Gefühl der Betäubung im rechten Arm erfasste ihn, das linke Schlüsselbein schmerzte. Er schlitterte nach hinten, zwischen dem herabgestürzten Terminal und dem Bildschirm hindurch. Ein weiterer Tritt traf ihn an der rechten Schläfe.
Rulfan spürte die Haut unter der Augenbraue platzen und sah, seltsam verlangsamt, wie sich dunkelrotes Blut in einem pulsierenden Strahl über seinen Oberkörper ergoss.
Der Bildschirm…
Ein neuerlicher Schlag. Und noch einer. Beide gegen sein Kinn. Irgendetwas in ihm weigerte sich zu glauben, dass dieser kleine Mann im Nahkampf überlegen war – und dennoch schien es so.
Saint Neven schleuderte, scheinbar ohne Kraftanstrengung, einen Stuhl hinter sich, sodass Eve ausweichen musste. Mit der anderen Hand holte er zu einem Hieb mit gestreckten Fingern aus, der gegen Rulfans Mund gezielt war und wahrscheinlich seinen Rachen durchbohren würde.
Mit letzter Kraft riss der Albino den Flachbildschirm zu sich heran, brachte ihn zwischen sich und die Hand des Wahnsinnigen. Der konnte nicht mehr ausweichen, fuhr durch die dünne, zerbrechliche Scheibe, geriet in den dahinter liegenden Stromkreis.
Der elektrische Schlag erfasste beide: Saint Neven und Rulfan. Wie zwei ineinander verkrampfte Puppen lagen sie da, von Zuckungen erfasst – bis ein trockenes, hohles Knallen ertönte.
Eve hatte die Stromversorgung gekappt.
Rulfan konnte sich endlich den Luxus einer Ohnmacht leisten.
***
»Das war ein Vabanquespiel sondergleichen«, sagte Sir Leonard mit mildem Vorwurf in der Stimme, während er seinen Sohn umarmte.
»Ber konnte fon ahnen, daf Faint Neben durchdweht!«, entgegnete Rulfan, gestützt von Eve und begleitet von Wulf.
Alles schmerzte ihm. Das Gesicht war derart in Mitleidenschaft gezogen, dass er kaum sprechen konnte. Mehrere Dutzend Meter Verbandsmull ließen ihn wie eine wandelnde Mumie erscheinen. Wie durch ein Wunder hatte er außer einem gebrochenen Schlüsselbein keine Blessuren davongetragen, die eine längere Heilungsdauer nach sich ziehen würden.
Saint Neven hatte es weitaus schlimmer erwischt – er war tot. Gestorben an einem Herzinfarkt, nicht etwa am Stromstoß!
Die Obduktion hatte ergeben, dass sein Körper in wenigen Minuten derart auf Hochtouren gelaufen war, dass sein Organismus schließlich ausgebrannt den Dienst versagte. Der Elektro-Schock war da nur das Tüpfelchen auf dem »i« gewesen.
Doch die Untersuchung hatte auch eine zweite Überraschung enthüllt: Russ Saint Nevens Leichnam war zweifellos menschlich gewesen. Die Theorie vom
»Daa’muren-Maulwurf« hatte sich als falsch erwiesen. Der Octavian musste also bewusst mit dem Feind kollaboriert haben. Die Gründe dafür konnte er nicht mehr preisgeben…
»Das war es also«, fuhr der Prime fort. »Salisbury dürfte gesäubert und die beiden Communities wieder sicher sein.« Er seufzte. »Bedauerlich, dass dieses Opfer nicht wenigstens zusätzliche Erkenntnisse über die Daa’muren erbracht hat. –Ihnen, Eve, meinen herzlichsten Dank. Sie haben meinem Sohn das Leben gerettet.«
»Danke«, antwortete sie schlicht. »Aber ich habe lediglich einen Schalter umgelegt, Sir Leonard.« Sie wandte sich ab.
»Wollen wir gehen, Rulfan?«
»Gewne. Wenn du miw die Richtung zeigft!«
***
Sonnenuntergang
Bei einem Dorf im schottischen Hochland Das Feuer brannte in ihr. Es breitete sich in ihrem Körper aus, biss sie von innen, fraß sie auf. Kein Zweifel, Orguudoos Dämonen hatten Gewalt über sie gewonnen.
Zwei Tage tobte bereits der Sturm, zwei Tage saß sie in dieser stinkenden Felsspalte fest, die ehemals von einer Gerul-Kolonie besetzt gewesen war. Die ausgeweideten Leiber der Tiere boten ein wenig Schutz gegen die tobenden Urgewalten.
An ein Feuer war unter den herrschenden Bedingungen nicht zu denken.
Aruula war schwach. Sie würde hier sterben. Entweder an der Kälte oder von innen her aufgefressen. Ihr gekrümmter Körper war von getrocknetem Blut
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