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128 - Der Schläfer

128 - Der Schläfer

Titel: 128 - Der Schläfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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überzogen. Die steif gefrorenen Felle hafteten schmerzhaft an ihr, und ihr einstmals glänzendes schwarzes Haar stand nass und strähnig ab.
    Doch war es nicht merkwürdig? Jedes mal wenn sie glaubte, dass Krahac, der Totenvogel auf sie herab flattern musste, spürte sie wärmendes Pochen in ihrem Leib. Ein kleines inneres Feuer flammte auf – und ließ sie weiterleben.
    Und nicht nur das: Die lange Narbe an ihrem rechten Oberschenkel, ein Andenken an eine räudige Taratze, die sie als Halbwüchsige angegriffen hatte, war verschwunden! War das Orguudoos bösartiger Humor, mit dem er Sterbende heimsuchte?
    Gab es einen Sinn in den Abenteuern, die sie an der Seite von Maddrax erlebt hatte? War diese endlose Suche letztendlich von irgendeiner Bedeutung gewesen?
    Nein.
    Man wurde von den hohen Mächten in diese Welt geschleudert. Man lebte. Und man starb, um anschließend der Götterschar von seinen Erlebnissen zu berichten. Mit ein wenig Glück lachten sie oder zogen anerkennend eine Augenbraue hoch.
    Mehr war es nicht, das Leben.
    Warum konnte sie sich bloß nicht mehr an die Todesgesänge erinnern, die sie die Schamanen gelehrt hatten?
    Aruula war zu müde, um an irgendetwas denken zu können.
    Nur die blasse Erinnerung an Maddrax stand noch in ihren Gedanken. Sein Gesicht, sein Lächeln, seine Zärtlichkeiten.
    Die vielen unbeholfenen Gesten, mit denen er sie vor den Unbilden dieser Welt schützen wollte. Ausgerechnet sie, die stolze Kriegerin!
    Aruula musste lachen, und es tat weh.
    »… tragt sie gefälligst vorsichtiger!«
    Sie vermeinte Maddrax zu hören. Die Götter mussten ganz nahe sein.
    »… völlig unterkühlt…«, sagte eine andere Stimme.
    »… und überall Blutkrusten…«
    »… reibt sie vorsichtig ab und…«
    »… warme Tücher…«
    »… die Lippen befeuchten…«
    »… prophylaktisch gespritzt, zur Stärkung des körpereigenen Immunsystems…«
    Nein, so sprachen keine Götter. Irgendetwas lief hier falsch.
    Oder richtig?
    Eine spröde, schmerzende Berührung.
    Auf ihren Lippen.
    Ein Kuss! Ein Geruch, ein Geschmack, so sehr bekannt, so wohltuend. Ein Tropfen, der auf ihre Wange fiel, langsam in einen Mundwinkel hinabrann und salzig schmeckte.
    »Maddrax!«, murmelte Aruula. »Ich träume von dir.«
    »… ist kein Traum«, antwortete die Stimme seltsam klar.
    »Ich bin bei dir… werde immer bei dir sein… schlaf jetzt.«
    »… und das Feuer… das meinen Leib beherrscht?«, fragte sie.
    »In London gibt es eine… Medizin dagegen«, erwiderte die Stimme. »Ich habe schon mit den Ärzten gesprochen. Du wirst noch lange leben…«
    Maddrax küsste sie in den Schlaf.
    Selbst wenn es nur ein Traum war, der sie in den Tod begleitete – er war wunderschön.
    ***
    Alles war glatt gegangen.
    Zu glatt für Rulfans Geschmack.
    War Russ Saint Nevens tatsächlich der einzige daa’murische Kollaborateur gewesen? Und was hatte ihn bewogen, für einen Feind zu arbeiten, dessen Ziel es war, die Menschen auszurotten?
    Alles wäre viel einfacher und erklärbar gewesen, wenn sie Saint Neven als Daa’muren enttarnt hätten. Jetzt waren weitere dringliche Fragen aufgeworfen worden.
    Kylie Buchanan, die er insgeheim für die Schuldige gehalten hatte, hatte Rulfan immerhin den Grund für ihr gereiztes Verhalten genannt: Sie war auf Russ Saint Neven eifersüchtig gewesen, der ihrer stillen Liebe zu Maeve McLaird im Wege gestanden war. Natürlich zeigte sie sich nicht glücklich über den Tod des Mannes – aber sie kümmerte sich seitdem sehr intensiv um die jüngere Kollegin.
    Kucholsky und Grimes waren nach wie vor sauer auf ihn und Eve. Damit musste – und konnte – er leben.
    Und was war mit Eve? Was sollte er von den Wallungen halten, die er immer wieder spürte, wenn die Frau in seine Nähe kam?
    Ein tiefes Geheimnis steckte hinter ihrer Maske der Undurchdringlichkeit. Jetzt, nachdem das Gröbste überstanden war – und auch die verschollen geglaubte Expedition per ISS-Verbindung ihre Ankunft in ein paar Stunden mitgeteilt hatte – war vielleicht Zeit für ein klärendes Gespräch. Er streichelte Wulf über das Fell, das sich in letzter Zeit merkwürdig spröde anfühlte.
    (Du hast Recht, wir werden uns deiner lieben Eve widmen müssen!), wisperte eine Stimme in seinem Kopf. Ein anderes, mächtiges Bewusstsein machte sich breit, dem er nichts entgegenzusetzen hatte.
    (Dieser weibliche Primärrassenvertreter wird mir allmählich lästig.) Rulfans Geist schwand. Irgendwo, in den Untiefen seines

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