128 - Die fliegenden Särge von San Franzisko
Holloway hatte Mund und Augen weit
aufgerissen. Sie schnappte nach Luft und merkte, wie ihre Lungen nach
Sauerstoff gierten. Vor ihren Augen begann die Luft zu flimmern und die Umrisse
zu verwischen.
Sie drohte ohnmächtig zu werden.
Schon halb abwesend wurde sie nicht mehr
gewahr, wie der unheimliche Fremde seinen Mund an ihren Hals preßte und seine
Zähne in ihre Halsschlagader drückte.
Ein scharfer, spitzer Schmerz ließ die Frau
zusammenzucken.
Zwischen den blauen Lippen des Unheimlichen
sammelte sich das Blut der Frau. Er schluckte es wie ein Vampir und ließ dann
von seinem Opfer ab.
Priscilla Holloway taumelte gegen die Wand
und rutschte an ihr entlang zu Boden.
Ihr geheimnisvoller, gefährlicher Widersacher
hielt sie noch bei der Hand, als wolle er verhindern, daß sie zu harf fiel.
»Ich werde wiederkommen«, stieß der Blaugesichtige
hervor. Seine gelben Augen waren durch den Bluttrank rot angelaufen. Die
Pupillen und die Augäpfel sahen aus, als wären sie in einer klebrigen
Flüssigkeit gebadet worden. »Und dann wirst du mir freiwillig deine Tür öffnen .«
Die Stimme klang wie ein Hauch.
Priscilla Holloway bekam diese Worte nicht
mit. Sie registrierte auch nicht, daß ihr unheimlicher Gegner wie ein Schatten
verschwand. Leise klappte die Tür ins Schloß.
Priscilla Holloways Bewußtlosigkeit dauerte
knapp sechzig Sekunden.
Dann kam sie wieder zu sich, schüttelte sich
überrascht und stellte fest, daß sie am Boden lag.
Sie raffte sich auf und bückte sich noch mal,
als sie feststellte, daß ihr Hausschlüssel auf dem Fußboden lag. Offenbar war
er ihr beim Sturz aus der Hand gefallen.
Die Frau stierte einen Moment vor sich hin,
durchquerte dann kopfschüttelnd den Korridor und lief langsam über die Treppe
nach oben.
Priscilla Holloway war verwirrt.
Sie war hingefallen. Vielleicht eine kurze
Blutleere im Gehirn? In letzter Zeit hatte sie öfter Schwierigkeiten mit Herz
und Kreislauf. Das Alter. Sie hatte Tropfen, um die Beschwerden zu mildern.
Aber da sie keine besonders hohe Meinung von den Ärzten hatte, nahm sie diese
Tropfen nicht.
Diese und andere belanglose Gedanken gingen
ihr durch den Kopf, als sie langsam Stufe für Stufe nach oben ging.
Einige Male blieb sie stehen, um zu
verschnaufen.
Dabei gingen ihr seltsame Bilder durch den
Kopf.
Es kam ihr einen Moment so vor, als wäre sie
jemandem begegnet.
Unwillkürlich drehte sie den Kopf und blickte
in den dämmrigen Hausflur zurück, der jedoch leer und verlassen lag.
Seltsam, es schien ihr, als wäre da jemand
gewesen, der sie angesprochen und angerührt hatte.
Unwillkürlich näherte sie, während sie still und nachdenklich stand, ihre Hand der kleinen,
geschwollenen und blutunterlaufenen Wunde an ihrem Hals.
Sie tastete mit den Fingerspitzen über die
Bißwunde, ohne jedoch zusammenzuzucken oder sich besondere Gedanken darüber zu
machen. In dem Moment, als ihre Fingerkuppen die lädierte Stelle berührten,
setzten alle Gedanken aus.
Nur eine Frage tauchte noch mal auf, und sie
war selbst überrascht, weshalb sie gerade jetzt daran dachte.
Gab es böse Geister oder Dämonen? Konnte es
sein, daß sie einem begegnet war?
Nein, sagte sie sich dann, ich bin ein wenig
durcheinander. Rührt offensichtlich noch von meiner Ohnmacht her. Ich hätte bei
Mary nicht soviel Likör trinken sollen. War heute abend ein bißchen zufiel für
mich.
Priscilla Holloway setzte ihren Weg fort.
Ihre Beine waren nicht mehr so schwer, und sie kam schneller vom Fleck.
Als sie vor ihrer Wohnungstür stand, waren
alle Gedanken an einen möglichen und ungewöhnlichen Zwischenfall vergessen.
Geister und Dämonen? Lachhaft! So etwas gab
es doch nicht.
Als die Frau ihre Wohnung betrat, kam es nur
zwei Straßenecken weiter zu einem Zwischenfall, der - hätte sie ihn beobachten
können - sie eines anderen belehrt hätte.
Dort nämlich trat der Dämon, der - ohne daß
sie es ahnte - ihr Leben von Grund auf verändert hatte, erneut in Aktion.
Diesmal auf eine andere Weise.
*
Es war Varox , der
blaue Dämon, und ernährte sich wie ein Vampir vom Blut der Menschen. Aber im
Gegensatz zu dem irdischen Grafen Dracula, seinen Bräuten und Vampiropfern
führten die Ausgesaugten nach dem Vampirbiß nicht das Dasein der Untoten. Mit
Varox’ Opfern geschah etwas anderes.
Das Opfer, das er sich jedoch in diesem
Moment ausgesucht hatte, erfüllte einen anderen Sinn für ihn.
Es handelte sich um einen Taxifahrer.
Varox, der Mann mit der blauen
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