128 - Sohn der Ratten
endlich. Mit letzter Kraft sperrte sie die Tür auf, taumelte in die winzige Diele und schloß die Tür hinter sich. Schweratmend blieb sie stehen und ließ den Mantel zu Boden fallen.
Nach ein paar Sekunden betrat sie das kombinierte Wohn- und Schlafzimmer. Ohne das Licht anzudrehen, ließ sie sich auf einen Stuhl sinken, schloß die Augen und ballte die Hände zu Fäusten.
Die Umgebung um sie herum veränderte sich. Sie fiel in einen eigenartigen Zustand, den sie sich selbst nicht erklären konnte. Es war kein Schlaf - doch sie war auch nicht wach. Es war ein unbeschreiblicher Zustand, der ihr nur wenig Freude bereitete.
Sie sah einen giftgrünen Himmel. Unmenschliche Schreie dröhnten in ihren Ohren; und sie sah seltsame Gestalten.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, und das Bild wurde deutlicher.
Dunja stöhnte in ihrem tranceartigen Zustand leise. Vor sich erblickte sie Plötzlich das Gesicht eines schwarzhaarigen Mannes, das sie seit mehr als vierzehn Tagen täglich in ihren Alpträumen gesehen hatte.
„Dorian Hunter", flüsterte sie leise.
Der schwarzhaarige Mann blieb stehen und blickte sich um. Er runzelte die Stirn und strich sich über das mit Bartstoppeln übersäte Gesicht. Seine grünen Augen blickten mißtrauisch umher.
Neben Dorian Hunter erkannte Dunja die Gefährtin des Dämonenkillers. Cocos langes, pechschwarzes Haar war verfilzt, klebrig und schmutzig. Ihr Gesicht mit den hohen Backenknochen wirkte müde und abgespannt. Deutlich waren ihr die Anstrengungen der vergangenen Tage anzumerken. Hinter Dorian Hunter und Coco Zamis schritt Olivaro her, der einen menschlichen Körper hatte, doch sein Gesicht war unmenschlich. Es hatte lange gedauert, bis sich Dunja an den Anblick des grünblau-leuchtenden Totenkopfgesichtes gewöhnt hatte.
Dunjas Gedanken verwirrten sich. Alles hatte vor etwa vierzehn Tagen begonnen.
Sie hatte gerade ein Bad nehmen wollen, als sie den ersten Alptraum erlebt hatte. Irgend etwas hatte ihren Körper gelähmt. Ein seltsamer Geruch war im Bad gewesen, und unsichtbare Hände hatten nach ihr gegriffen. Vor ihren Augen war plötzlich alles schwarz gewesen, und sie hatte wispernde Stimmen gehört, leise und unverständlich. Nach wenigen Augenblicken hatte sie eine schemenhafte Gestalt gesehen, die im Nichts zu schweben schien. Die Stimme in ihrem Kopf war lauter geworden, und Dunja hatte sich vorgestellt.
„Ich heiße Dunja Dimitrow", hatte sie gesagt.
Die Stimme in ihrem Kopf war dann deutlicher zu verstehen gewesen.
„Ich werde mich bald bei euch melden", hatte die Stimme gesagt. „Vielleicht erteile ich euch Befehle, die euch vollkommen unsinnig erscheinen werden. Ihr müßt sie befolgen. Habt ihr mich verstanden?"
Dunja hatte nicht mehr antworten können. Die Stimme war plötzlich nicht mehr zu hören gewesen, und die Lähmung war von ihrem Körper abgefallen.
Und seither hatte sie diese Träume gehabt. Meistens während der Nacht. Doch seit drei Tagen kamen die Träume auch tagsüber; und sie erlebte sie immer heftiger und intensiver.
An die ersten Alpträume konnte sich Dunja nur undeutlich erinnern. Sobald sie erwacht war, hatte sie das meiste wieder vergessen gehabt.
Langsam entspannte sich das Mädchen. Ihre festen Brüste hoben sich kaum merkbar. Ihr Herz schien langsamer zu schlagen. Ein sanftes Rauschen war in ihren Schläfen. Das Bild vor ihr wurde deutlicher.
„Wir haben es geschafft", sagte Olivaro. „Das ist der Berg der Berge."
Vom Berg der Berge war immer wieder die Rede gewesen, doch Dunja wußte noch immer nicht, was sich hinter diesem Namen verbarg.
Ich fühlte mich dreckig, müde und völlig groggy. Seit wann wir uns auf dieser verfluchten Welt befanden, wußten wir nicht mehr. Wir hatten jedes Zeitgefühl verloren, und unsere Uhren gingen höchst ungenau; was auch kein Wunder war bei der starken magischen Ausstrahlung, die auf Malkuths Oberfläche herrschte.
Hergekommen waren wir, um eine Spur des Padmas zu finden, mit dem der Kontakt auf der Erde abgerissen war. Doch bis jetzt hatten wir diesbezüglich keinen Hinweis bekommen.
Olivaro schien die Strapazen der vergangenen Tage relativ gut überstanden zu haben, während Coco - so wie ich - kurz vor dem Zusammenbruch stand. Lange konnten wir uns auf dieser Alptraumwelt nicht mehr behaupten. Das war mir völlig klar.
Coco sah aus, als wäre sie seit Wochen nicht mehr aus ihren Kleidern gekommen. Ich sah um nichts besser aus als sie. Mein Haar war verklebt, und mein Bart wucherte
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