129 - Superbestie Dr. Jekyll
Heutigen von Farbe und
Stimmung her faszinieren. Er legte seine Seele hinein, wie er zu sagen pflegte.
Die Natürlichkeit und Aufrichtigkeit seines Lebens, die Tatsache, daß er
behauptete, nur wenn der Körper so in Einklang ist mit der Seele, die ihn
erfüllt, wenn Körper und Seele offen daliegen, kann die Seele den Körper
verlassen. Die alten Mystiker und Magier einer anderen Zeit wußten noch etwas
von diesem Einklang Leib-Seele.
Wenn
Mitchell ein Bild mit einer mittelalterlichen Szene malte, dann lebte er darin,
dann war es für ihn eine Inkarnation seines Leibes in diesem Mittelalter, und
er konnte mit den Menschen und den Dingen, den Straßen, Räumen und Tieren, die
er darstellte, fühlen. Ja, auch unbelebte Dinge vermögen einem hochsensiblen
Menschen, wie Anthony Mitchell es zweifelsohne war, viel zu sagen. Mitchell
malte mit einer Besessenheit, zu der nur die ganz Großen fähig sind. Als ich
zum ersten Mal ein Bändchen mit Abbildungen seiner Arbeiten in die Hand bekam,
da elektrisierte mich seine Kunst förmlich. Ich reiste durch die Staaten, um
ihn zu finden. Und der Zufall wollte es, daß er ausgerechnet in einem kleinen
Dorf nur achtzehn Meilen von Jackson und damit von euch entfernt, gelebt und
meistens auch gearbeitet hatte. Er hatte gelebt wie ein Asket, von Wasser und
Brot, manchmal nicht mal das. Da mußten ihm ein paar rohe Maiskörner als
Nahrung genügen. Aber seine körperliche Bedürfnislosigkeit hat seinen Geist und
seine Seele geläutert. Andere behaupten, das hätte ihm den Rest gegeben.
Mitchell
wurde als Irrer in die Anstalt von Dr. Santer eingeliefert. Das geschah vor
sieben Jahren. In mühseliger Kleinarbeit konnte ich das Schicksal dieses großen
und verkannten Genies klären und seine Wege nachvollziehen. Man vertrieb
Mitchell praktisch aus dem kleinen, selbstgemauerten Haus, in dem er lebte und
arbeitete. Die Leute in der Nachbarschaft erzählten die gräßlichsten Dinge über
ihn.
Es
hieß allgemein, daß es in dem Haus, das er bewohnte, spuke, daß er dort mit
bösen Geistern und Teufeln verkehre. Und mehr noch: manchmal, so hieß es auch,
sei er gar nicht zu Hause gewesen, obwohl eindeutige Beweise dafür existierten,
daß er das Haus nicht verlassen hatte. Ein Einwohner wollte es genau wissen. Er
brach eines späten Abends in das Haus Anthony Mitchells ein, als man wieder mal
annehmen mußte, daß Mitchell durch ein geheimes Tor in die Geisterwelt gegangen
sei. Aber Mitchell war zu Hause. Er schlief …
Im
Halbschlaf fuhr er hoch und war so erschrocken, daß er nach dem erstbesten
Gegenstand in seiner Nähe griff, den er erreichen konnte. Es war ein
Sarazenen-Schwert. Damit schlug er dem vermeintlichen Mörder, der sich über ihn
beugte, den Kopf ab. Mitchell wurde verhört, aber es gelang ihm nicht, den
Irrtum, dem er zum Opfer gefallen war, aufzuklären. Mitchell wurde als ein
gefährlicher Irrer hingestellt. Man suchte die Waffe, mit der er den Mord
begangen hatte, vergebens. Mitchell behauptete nämlich, das Sarazenen-Schwert aus
der Hand eines Reiters genommen zu haben, den er in einer wilden Schlachtszene
unter glühender spanischer Sonne dargestellt hatte …«
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Sie
unterbrach sich kurz, atmete tief durch und wirkte jetzt wieder ganz ruhig, als
sie sich bückte und mit leichter Hand den seidigen Umhang aufnahm.
Mit
leiser Stimme und abwesendem Blick fuhr sie zu sprechen fort: »Man verlangte
von ihm, daß er das Kunststück doch manchmal nachmachen sollte. Die Polizei
wollte gerne sehen, wie er nach dem gemalten Schwert griff und es herausnahm
und wie die scharfe Schneide durch die Luft geführt worden war. Mitchell konnte
den Vorgang nicht wiederholen. Man entmündigte ihn. Der Mann sei eine Gefahr
für die Öffentlichkeit und die Sicherheit anderer. Er wurde nicht zum Tode
verurteilt. Seine Endstation war die Irrenanstalt. In seiner Schlußansprache
vor Gericht bat er darum, seine Malutensilien und alle Bilder, die er bisher
gemalt hat, mitnehmen zu dürfen. Das wurde ihm gestattet. In der Anstalt unter
Dr. Santers Führung hat Mitchell intensiv weitergearbeitet an seinen
Seelen-Impressionen-Bildern, wie er sie nannte. Visionen aus Vergangenheit und
Gegenwart nahmen unter seinem Pinsel Gestalt an. Mitchell starb in der Anstalt.
Ich habe ihn nicht mehr lebend dort angetroffen – aber Dr. Santer wurde in die
geistigen Geheimnisse seines Schützlings eingeweiht und hat die Lehre und das
Können von der Einheit und der Loslösung Seele-Leib im Sinne
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