13 - Im Schatten des Grossherrn 02 - Durchs wilde Kurdistan
nach vorn heraus mehrere Pengdscheri (Fenster), die mit hölzernen Gitterstäben versehen waren, und um das platte Dach lief ein Schutzgeländer, gewiß ein großer Luxus hierzulande.
„Wer wohnt in diesem Haus?“ fragte ich.
„Ich selbst, Effendi“, antwortete er.
„Und wem gehört es?“
„Mir.“
„Du hast es gekauft oder gemietet?“
„Keines von beidem. Es war Eigentum des berühmten Ismaïl Pascha und blieb seitdem herrenlos, bis ich es in Besitz nahm. Komm, ich werde dir alles zeigen!“
Dieser wackere Befehlshaber der Arnauten hatte jedenfalls großes Wohlgefallen an meinem Bakschisch gefunden. Doch war mir sein Anerbieten sehr willkommen, da ihn seine Stellung befähigte, mir über alles Nötige die gewünschte Auskunft zu geben. Wir stiegen vor dem Haus ab und traten ein. Im Flur hockte ein altes Weib, welches Zwiebeln schälte und dabei mit tränenden Augen die abgefallenen Schalen kaute. Ihrem Aussehen nach war sie entweder die Urgroßmutter des ewigen Juden oder die von dem Tod ganz vergessene Tante von Methusalem.
„Höre, meine süße Mersinah, hier bringe ich dir Männer!“ redete er sie in sehr liebenswürdigem Ton an.
Sie konnte uns vor Tränen nicht sehen und wischte sich daher mit der Zwiebel, die sie grad in der Hand hielt, die Augen aus, so daß das Wasser sich verdoppelte.
„Männer?“ fragte sie mit einer Stimme, welche dumpf wie die Antwort eines Klopfgeistes aus dem zahnlosen Mund hervorklang.
„Ja, Männer, die in diesem Haus wohnen werden.“
Sie warf die Zwiebeln von sich und sprang mit jugendlicher Schnelligkeit vom Boden auf.
„Wohnen? Hier in diesem Haus? Bist du toll, Selim Agha?“
„Ja, meine liebliche Mersinah, du wirst die Meichanedscha (Wirtin) dieser Männer sein und sie bedienen.“
„Wirtin? Bedienen? Allah kerihm! Du bist wirklich verrückt geworden! Habe ich nicht bereits Tag und Nacht zu arbeiten, um nur mit dir allein fertig zu werden! Jage sie fort, fort auf der Stelle; das befehle ich dir!“
Er wurde ein wenig verlegen; das war ihm anzumerken. Die ‚süße, liebliche‘ Mersinah schien hier ein sehr kräftiges Zepter zu führen.
„Deine Arbeit soll nicht größer werden, meine Taube. Ich werde ihnen eine Kyzla (Mädchen, Dienerin) halten, die sie bedienen wird.“
„Eine Kyzla?“ fragte sie, und dabei klang ihre Stimme nicht mehr dumpf und hohl, sondern kreischend und überschnappend, als ob der rosige Mund der lieblichen Taube sich in einen Klarinettenschnabel verwandelt hätte. „Eine Kyzla! Und wohl eine junge, hübsche Kyzla, he?“
„Das kommt auf diese Männer an, Mersinah.“
Sie stemmte die Arme in die Hüften, eine Bewegung, welche dem Orient ebenso eigentümlich ist wie dem Abendland, und holte tief Atem. Dies war ein Zeichen, daß sie einen bedeutenden Luftvorrat brauchen werde, um ihre angestammte Herrschaft mit dem notwendigen Nachdruck verteidigen zu können.
„Auf diese Männer? Auf mich kommt das an! Hier bin ich Herrin! Hier habe ich allein zu befehlen! Hier habe ich zu bestimmen, was geschehen soll, und ich gebiete dir, diese Männer fortzujagen! Hörst du, Selim Agha? Fort, augenblicklich!“
„Aber es sind ja gar keine Männer, meine einzige Mersinah!“
Mersinah, was im Deutschen ‚Myrte‘ bedeutet, wischte sich die Äuglein abermals aus und betrachtete uns sehr genau. Ich selbst war etwas erstaunt über diese Behauptung des Agha. Was denn eigentlich sollten wir sein, wenn wir keine Männer waren?
„Nein“, antwortete er. „Es sind keine Männer, sondern Effendis, große Effendis, die unter dem Schutz des Großherrn stehen.“
„Was geht mich der Großherr an! Hier bin ich die Großherrin, die Sultanin Valide, und was ich sage, das –“
„Aber so höre doch! Sie werden ein sehr gutes Bakschisch geben!“
Bakschisch hat im Orient eine zauberhafte Wirkung; es schien auch hier das richtige erlösende Wort zu sein. Die ‚Myrte‘ ließ die Arme sinken, versuchte ein einlenkendes Lächeln, welches aber in ein höhnisches Grinsen ausartete, und wandte sich an Master David Lindsay:
„Ein großes Bakschisch? Ist das wahr?“
Der Gefragte schüttelte den Kopf und deutete auf mich.
„Was ist mit diesem?“ fragte sie mich. „Ist er übergeschnappt?“
„Nein“, antwortete ich. „Laß dir sagen, wer wir sind, du Seele dieses Hauses! Dieser Mann, den du jetzt fragtest, ist ein sehr frommer Pilger aus Londonistan; er gräbt mit seiner Hacke, die du hier siehst, in die Erde, um die Sprache
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