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13 - Wo kein Zeuge ist

13 - Wo kein Zeuge ist

Titel: 13 - Wo kein Zeuge ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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lächerlich. Sie hat gesehen, wie der Junge sich auszog und ich ihm geholfen habe. Mit dem Hemd oder der Hose. Ich weiß nicht, was es war. Sie zog hysterisch voreilige Schlüsse und tätigte einen Anruf. Die Folge waren ein paar unerfreuliche Stunden mit der örtlichen Polizei in Gestalt eines alternden Constable, dessen Intelligenz nicht mit seiner blühenden Fantasie mithalten konnte. Das Jugendamt rückte an und holte die Jungen weg, und ich befand mich in der Situation, mich vor einem Richter erklären zu müssen. Bis die ganze Angelegenheit beigelegt war, waren die Jungen in neue Familien gekommen, und es schien herzlos, sie schon wieder zu entwurzeln. Sean war mein erster neuer Pflegesohn nach dieser Geschichte.«
    »Das war alles?«
    »Das war alles. Ein nackter Mann, ein nackter Jugendlicher. Ein seltener Sonnenstrahl. Ende der Story.«
    Nicht ganz, natürlich, dachte Nkata. Es musste noch einen Grund geben, aber er schätzte, er kannte ihn. Savidge war schwarz genug, dass eine weiße Gesellschaft ihn als Angehörigen einer Minderheit einordnete, aber bei weitem nicht schwarz genug, um begeistert von seinen Brüdern aufgenommen zu werden. Der Reverend hoffte, die Sommersonne könne ihm wenigstens vorübergehend das geben, was Natur und Gene ihm vorenthalten hatten, und den Rest des Jahres musste eine Sonnenbank diesen Zweck erfüllen. Nkata dachte über diese Ironie nach und darüber, wie oft das menschliche Verhalten doch von der Fehldeutung bestimmt wurde, die sich unter dem Etikett NICHT GUT GENUG zusammenfassen ließ. Nicht weiß genug hier, nicht schwarz genug da, zu ethnisch für die eine Gesellschaftsgruppe, zu englisch für die andere. Unterm Strich glaubte er Savidges Geschichte vom unbekleideten Sonnenbaden. Sie klang genau verrückt genug, um wahr zu sein.
    »Ich habe mit Sol Oliver drüben in North Kensington gesprochen«, berichtete er. »Er sagt, Sean ist zu ihm gekommen und hat gefragt, ob er bei ihm wohnen kann.«
    »Das überrascht mich nicht. Das Leben war nicht einfach für Sean. Seine Mutter hinter Gittern, und er selbst ist zwei Jahre lang innerhalb des Fürsorgesystems wie ein Paket weitergereicht worden, ehe er zu mir kam. Ich war seine fünfte Station, und er hatte die Nase voll von all dem. Wenn er seinen Vater hätte überreden können, ihn aufzunehmen, hätte er zumindest ein dauerhaftes Zuhause gehabt. Das war es, was er wollte. Es ist schließlich keine überzogene Erwartung.«
    »Wie hat er von Oliver erfahren?«
    »Von Cleopatra, seiner Mutter, nehme ich an. Sie sitzt in Holloway. Er hat sie bei jeder Gelegenheit besucht, sofern es sich einrichten ließ.«
    »Ging er sonst noch irgendwohin? Abgesehen von Colossus?«
    »Bodybuilding. In einem Studio ein Stück die Finchley Road rauf. Square Four Gym. Das habe ich Ihrem Superintendent schon gesagt. Nach Colossus kam Sean hier vorbei, um sich zu melden, hallo zu sagen oder was auch immer, und fuhr dann weiter nach Hause oder zum Fitnessstudio.« Savidge schien noch einen Moment über diese Information nachzudenken. Dann fuhr er versonnen fort: »Ich nehme an, es waren die Männer dort, die ihn angezogen haben, auch wenn ich damals nicht richtig darüber nachgedacht habe.«
    »Was haben Sie sich stattdessen gedacht?«
    »Einfach nur, dass es gut für ihn ist, ein Ventil zu haben. Er war voller Wut. Er hatte das Gefühl, dass das Leben ihm miserable Karten ausgeteilt hatte, und das wollte er ändern. Aber jetzt wird mir klar ... das Fitnessstudio ... das könnte der Weg gewesen sein, auf dem er diese Veränderung herbeiführen wollte. Durch die Männer, die dorthin gehen.«
    Nkata horchte auf. »In welcher Weise?«
    »Nicht was Sie denken«, antwortete Savidge.
    »Sondern?«
    »So wie alle Jungen. Sean hatte Sehnsucht nach Vaterfiguren, die er bewundern konnte. Das ist völlig normal. Ich bete nur zu Gott, dass es nicht das war, was ihn umgebracht hat.«
    Hopetown Road führte rechts von der Brick Lane ab und lag inmitten einer dicht bevölkerten Gegend Londons, die mindestens drei Reinkarnationen durchlaufen hatte, so lange Barbara Havers zurückdenken konnte. Es gab immer noch eine Vielzahl heruntergekommener schmuddliger Textilgroßhandlungen und mindestens eine Brauerei, die den Geruch nach Hefe in die Luft ausstieß, und die Bewohner waren über die Jahre Juden, Schwarze aus der Karibik und Bengalen gewesen.
    Die Brick Lane ließ Bemühungen erkennen, das Beste aus der derzeitigen ethnischen Struktur zu machen: Ein

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