13 - Wo kein Zeuge ist
Ich hab zwei. Aber ich konnte ihn nicht nehmen. Ich hab nicht genug Platz, und selbst wenn ...« Er schaute sich um, als suche er nach einer Erklärung, die sich in der engen, von beißendem Geruch erfüllten Werkstatt versteckt hielt. »Wir waren Fremde, Mann. Er und ich. Er hat erwartet, dass ich ihn einfach so aufnehme, weil wir das gleiche Blut haben, aber das konnte ich nicht, versteh'n Sie. Er muss sein Leben selbst auf die Reihe bringen. Das hab ich auch gemacht. Das machen wir doch alle.« Er schien Kritik in Nkatas Gesicht zu lesen, denn er fuhr fort: »Es war ja auch nicht so, als hätte seine Mum mich gewollt. Sie wird schwanger, okay, aber sie sagt mir nichts davon, bis sie mir zufällig auf der Straße in die Arme läuft, kurz vor der Geburt. Da sagt sie mir, das Kind ist von mir, okay? Aber wie kann ich sicher sein? Und nachdem er geboren war, ist sie auch nie zu mir gekommen. Sie ist ihren Weg gegangen, ich meinen. Dann ist er auf einmal dreizehn, kreuzt hier auf und will mich als seinen Dad. Aber ich fühl mich nicht wie sein Dad. Ich kenne ihn doch gar nicht.« Oliver nahm seinen Engländer wieder auf, offenbar um anzuzeigen, dass er weiterarbeiten wollte. »Wie gesagt, es tut mir Leid, dass seine Mum eingebuchtet ist, aber es ist nicht so, als wär das meine Verantwortung.«
Klar doch, dachte Nkata, als er das Haus von Reverend Savidge betrat und sich einen Platz an einer Seite des Aufenthaltsraums suchte. Er war überzeugt, dass sie Sol Oliver von der Liste der Verdächtigen, die sie zusammentragen mochten, streichen konnten. Der Mechaniker hatte nicht genug Interesse an Sean Lavery gehabt, um seinen Tod zu wünschen.
Das galt indessen nicht für Reverend Bram Savidge. Als er seine Recherchen über den Mann gemacht hatte, waren ihm Aspekte seines Lebens aufgefallen, die es näher zu betrachten galt, nicht zuletzt die Frage, warum er Superintendent Lynley belogen hatte, was den Auszug der drei Pflegesöhne aus seinem Haushalt betraf.
Angetan mit afrikanischer Kleidung, einem Kaftan und Kopfbedeckung, stand Savidge an einem Pult mit drei Mikrofonen. Die hellen Scheinwerfer, die für die Fernsehkamera nötig waren, waren direkt auf ihn gerichtet, während er zu den Journalisten sprach, die vier Stuhlreihen einnahmen. Er hatte ein ansehnliches Auditorium zusammenbekommen, und er machte das Beste daraus.
»Wir stehen also da mit nichts als Fragen«, sagte er. »Es sind die berechtigten Fragen, die jede besorgte Bevölkerungsgruppe stellen würde, aber es sind auch genau die Fragen, die regelmäßig ignoriert werden, wenn das Engagement der Polizei von der Hautfarbe der Bevölkerungsgruppe abhängt. Wir verlangen, dass das aufhört. Fünf Tote, und Gott allein weiß, wie viele noch hinzukommen, Ladys und Gentlemen, aber New Scotland Yard wartet bis zum Opfer Nummer vier, ehe eine Sonderkommission eingerichtet wird, um die Fälle zu untersuchen. Und warum das?« Er ließ den Blick über seine Zuhörer schweifen. »Das kann uns nur Scotland Yard sagen.« An diesem Punkt setzte er zu einer flammenden Rede an, die alle Themen berührte, die jeden vernünftigen Bürger dunkler Hautfarbe ängstigen mussten: Warum waren die früheren Morde nicht sorgfältiger untersucht worden? Warum hingen keine Warnplakate auf den Straßen? Die Journalisten murmelten zustimmend, aber Savidge ruhte sich nicht auf seinen Lorbeeren aus. Stattdessen fuhr er fort: »Und auch Sie haben Grund zur Scham. Sie sind die Pharisäer unserer Gesellschaft, denn Sie haben Ihre Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit ebenso vernachlässigt wie die Polizei. Den Nachrichtenwert dieser Todesfälle haben Sie als zu gering eingestuft, um sie auf die Titelseite zu bringen. Also was muss passieren, bis Sie endlich anerkennen, dass ein Leben ein Leben ist, egal welche Hautfarbe der Mensch hat, dass jedes Leben einen Wert hat, dass jeder Mensch geliebt und betrauert wird. Die Sünde der Gleichgültigkeit sollte auf Ihren Schultern ebenso schwer lasten wie auf denen der Polizei. Das Blut dieser Jungen schreit nach Vergeltung, und die schwarze Gemeinschaft wird nicht ruhen, bis die Gerechtigkeit obsiegt. Das ist alles, was ich zu sagen habe.«
Natürlich reagierten die Reporter empört. Und diese ganze Veranstaltung hatte genau auf diese Wirkung abgezielt. Sie riefen durcheinander, um Reverend Savidges Aufmerksamkeit zu erlangen, doch er ignorierte sie. Es hätte nur noch gefehlt, dass er vor ihren Augen seine Hände wusch, ehe er durch eine
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