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13 - Wo kein Zeuge ist

13 - Wo kein Zeuge ist

Titel: 13 - Wo kein Zeuge ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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oder? Warum nicht ein Ton, der näher an Blau lag? Das war auf jeden Fall etwas, das sie berücksichtigen mussten.
    Als Winston Nkata zum Haus des »Heißen Draht zum Herrn« kam, war er vorbereitet: Er hatte sich bereits über das Umfeld von Reverend Bram Savidge informiert. Was er herausgefunden hatte, war genug, um ihn für eine Begegnung mit dem Mann zu rüsten, den sowohl das Sunday Times Magazine als auch die Mail on Sunday in Sonderberichten über seine Tätigkeit »den gerechten Streiter der Finchley Road« genannt hatten.
    Eine Pressekonferenz war in vollem Gange, als Nkata den einstigen Laden betrat, der heute sowohl Kirche als auch Suppenküche war. Die Armen und Obdachlosen, die normalerweise tagsüber in die Küche kamen, hatten draußen auf dem Gehweg eine Schlange gebildet. Die meisten von ihnen saßen in der Hocke da und bewiesen damit diese unfreiwillige Geduld jener Menschen, die schon zu lange am Rande der Gesellschaft lebten.
    Nkata spürte einen Stich, als er an ihnen vorbeiging. Es war nur einer winzigen Abweichung der Umstände zu verdanken - der unerschütterlichen Liebe seiner Eltern und der lang zurückliegenden Intervention eines engagierten Polizisten -, die verhindert hatte, dass er einer von ihnen geworden war. Er spürte die Enge in der Brust, die ihn immer überkam, wenn die Ausübung seiner Pflicht ihn zu seinen eigenen Leuten führte. Er fragte sich, ob er das Gefühl je überwinden würde, sie irgendwie im Stich gelassen zu haben, indem er einen Weg eingeschlagen hatte, den die meisten von ihnen nicht verstehen konnten.
    Er hatte die gleiche Reaktion in den Augen von Sol Oliver bemerkt, als er vor weniger als einer Stunde dessen heruntergekommene Autowerkstatt betreten hatte. Sie gehörte zu einem Sammelsurium von Bauwerken in einer schmalen Gasse namens Munro Mews in North Kensington, die reichlich mit Graffiti versehen und geschwärzt von jahrhundertealtem Ruß und den Folgen eines Feuers waren, das die Bausubstanz auf dem Nachbargrundstück in eine Ruine verwandelt hatte. Die Gasse mündete in die Golberne Road, wo Nkata den Escort abgestellt hatte. Dort schob sich der Verkehr zwischen schäbigen Läden und schmuddeligen Marktständen auf rissigen Wegen und von Müll bedeckten Gassen hindurch.
    Nkata hatte Sol Oliver bei der Arbeit an einem antiken VW Käfer angetroffen. Als er seinen Namen hörte, unterbrach der Mechaniker seine Betrachtung des Motors und richtete sich auf. Er musterte Nkata von Kopf bis Fuß, und nachdem er den Dienstausweis gesehen hatte, nahm sein Gesicht einen Ausdruck des Misstrauens an.
    Ja, er wusste Bescheid über Sean Lavery, hatte Oliver ihm unumwunden gesagt, auch wenn er nicht besonders erschüttert klang. Reverend Savidge hatte ihn angerufen. Er hatte den Cops nichts über die letzten Tage in Seans Leben zu sagen. Er hatte seinen Sohn seit Monaten nicht gesehen.
    »Wann war das letzte Mal?«, fragte Nkata.
    Oliver schaute zu einem Kalender an der Wand, als hoffe er, so sein Gedächtnis zu stimulieren. Der Kalender hing unter einer wahren Hängematte aus Spinnweben und über einer schmierigen Kaffeemaschine. Neben dieser stand ein Becher, von Kinderhand mit Fußbällen bemalt und dem einzelnen Wort: »Daddy«.
    »Ende August«, antwortete Oliver.
    »Sind Sie sicher?«, fragte Nkata.
    »Warum? Denken Sie, ich hab ihn umgebracht oder so?« Oliver legte den Engländer beiseite, den er in der Hand gehalten hatte, und wischte sich die Hände an einem fleckigen, blauen Lumpen ab. »Hören Sie, Mann. Ich kannte den Jungen nicht mal. Ich wollte ihn gar nicht kennen. Ich hab jetzt Familie, und was damals mit mir und seiner Mum gelaufen ist, war eben das, was so passiert. Ich hab dem Jungen gesagt, es tut mir Leid, dass Cleo im Knast ist, aber ich konnte ihn nicht aufnehmen, ganz egal, was er sich vorgestellt hat. So ist das nun mal. Wir waren ja schließlich nicht verheiratet oder so was.«
    Nkata bemühte sich, keine Reaktion zu zeigen, wenngleich das Letzte, was er empfand, Desinteresse war. Oliver war ein perfektes Beispiel dafür, was mit den Männern nicht stimmte: Pflanz den Samen ein, weil die Frau willig ist; lass die Folgen mit einem Schulterzucken hinter dir zurück. Gleichgültigkeit wurde das Vermächtnis, das der Vater an den Sohn weitergab.
    »Was wollte er denn von Ihnen?«, fragte er. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass er nur auf einen Plausch vorbeigekommen war.«
    »Wie ich sagte. Wollte zu uns ziehen. Zu mir, meiner Frau, den Kindern.

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