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13 - Wo kein Zeuge ist

13 - Wo kein Zeuge ist

Titel: 13 - Wo kein Zeuge ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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keiner an ihn rantraut. Dieser Typ hat die Bilder von der Überwachungskamera in der Zeitung gesehen, Harrow Road angerufen und ihnen einen Namen genannt. Kann sein, dass nichts dabei rauskommt, aber die Kollegen glauben, es lohnt sich, der Sache nachzugehen. Möglicherweise ist das der Schütze, den wir suchen, sagen sie.«
    »Wer ist es?«
    »Ich hab den Namen nicht mitbekommen. Die Kollegen von der Harrow Road holen ihn zum Verhör. Aber wenn er's getan hat, wird er schnell auspacken. Kein Zweifel, er wird reden.«
    »Warum? Wie können sie so sicher sein?«
    »Weil er zwölf Jahre alt ist. Und das hier ist nicht das erste Mal, dass er in Schwierigkeiten steckt.«
    St. James überbrachte Lynley die Neuigkeiten. Dieses Mal trafen sie sich nicht auf dem Korridor, sondern in dem kleinen Zimmer, das die Familie während der letzten Tage beherbergt hatte. Lynley kam es vor wie Monate. Helens Eltern hatten sich überreden lassen, das Krankenhaus für eine Weile zu verlassen. In Begleitung von Cybil und Daphne waren sie zu ihrer Wohnung am Onslow Square gefahren, wo Helen früher gewohnt hatte. Penelope war nach Cambridge zurückgekehrt, um nach ihrem Mann und den drei Kindern zu schauen. Seine eigene Familie gönnte sich ein paar Stunden Pause und Tapetenwechsel in Eaton Terrace. Seine Mutter hatte angerufen, nachdem sie dort angekommen waren, und gefragt: »Tommy, was sollen wir mit den Blumen machen?« Dutzende von Sträußen lagen vor der Tür, ergossen sich über die Eingangsstufen hinab bis zum Bürgersteig. Er hatte keine Antwort für sie. Mitgefühl konnte ihn nicht berühren, hatte er festgestellt.
    Nur Iris war geblieben, die standhafte Iris, untypischste aller Clyde-Schwestern. Sie besaß nicht einen Hauch von Eleganz, trug das Haar lang, weil es praktisch war, und Spangen in Form von Hufeisen hielten es aus ihrem Gesicht. Sie war ungeschminkt, die Haut von zu viel Sonne gezeichnet.
    Als sie ihre jüngste Schwester gesehen hatte, hatte sie geweint. Wütend hatte sie gesagt: »So was passiert hier doch gar nicht, Gott verflucht.« Er hatte gewusst, was sie meinte: Gewalt und Tod durch Schusswaffen. Das gehörte nach Amerika, nicht nach England. Was war aus dem England geworden, das sie gekannt hatte?
    Du warst zu lange weg, wollte er ihr sagen. Das England, das du gekannt hast, ist seit Jahrzehnten tot.
    Stundenlang hatte sie bei Helen gesessen, ehe sie wieder sprach, und dann sagte sie leise zu ihm: »Sie ist nicht hier, oder?«
    »Nein, sie ist nicht hier«, stimmte Lynley zu. Denn Helens Geist war vollständig verschwunden, weitergezogen zur nächsten Daseinsebene - was immer das sein mochte. Was geblieben war, war lediglich die Behausung dieses Geistes, welche die fragwürdigen Wunder der modernen Medizin vor der Verwesung bewahrten.
    Als St. James kam, ging Lynley mit ihm in den Warteraum und ließ Iris bei Helen. Er lauschte den Neuigkeiten von der Polizeiwache Harrow Road und ihrem Informanten, aber das Einzige, was in sein Bewusstsein vordrang, war: schon früher mit dem Gesetz in Konflikt geraten.
    »In welcher Hinsicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten, Simon?«, fragte er.
    »Brandstiftung und Handtaschenraub laut Jugendgericht. Eine Sozialarbeiterin hat eine Zeit lang versucht, die Familie zu beraten. Ich habe mit ihr gesprochen.«
    »Und?«
    »Nicht viel, fürchte ich. Eine ältere Schwester, die gerade wegen eines Straßenraubs gemeinnützige Arbeit verrichtet, und ein jüngerer Bruder, über den keiner viel weiß. Sie alle wohnen bei einer Tante und ihrem Freund in einer Sozialwohnung. Das ist alles, was ich herausbekommen konnte.«
    »Jugendgericht«, wiederholte Lynley. »Und er hat eine Sozialarbeiterin.«
    St. James nickte. Er hielt den Blick auf Lynley gerichtet, und Lynley fühlte, wie sein Freund ihn studierte, ihn einschätzte, während St. James selbst ebenfalls die Fakten zusammenzog wie die Fäden eines Netzes, dessen Mittelpunkt immer und immer wieder derselbe war.
    »Gefährdete Jugendliche«, sagte Lynley. »Colossus.«
    »Quäl dich nicht.«
    Er lachte freudlos. »Glaub mir, das brauch ich nicht. Das erledigt die Wahrheit schon.«
    Unter den gegebenen Umständen gab es für Ulrike keine hässlicheren Worte als interne Untersuchung. Dass der Vorstand Informationen über sie sammeln wollte, war schlimm genug. Dass sie beabsichtigten, es durch Befragungen und Revision zu tun, war schlimmer. Sie hatte jetzt viele Feinde bei Colossus, und drei von ihnen würden überglücklich sein,

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