1301 - Kreuzzug des Bösen
Rosanna brachte den Kopf noch näher an das Gesicht heran, und einen Moment später presste sie ihren Mund auf den des Baphomet.
Jeder sah es.
Jeder hielt den Atem an, auch ich, denn ich wusste, dass mit diesem Kuss etwas besiegelt oder auch in Bewegung gebracht worden war.
Ich irrte mich nicht!
Der Kuss hatte tatsächlich eine Brücke geschlagen, und die musste sein, um die Zeiten zu verändern. Es war mir nicht neu, ich kannte so etwas, doch es war immer wieder ein neues und auch spannendes Gefühl, es zu erleben.
Etwas passierte in meiner Umgebung. Es betraf nur die alten Klosterruinen. Sie blieben, aber sie veränderten sich. Sie schoben sich zusammen, sie bewegten sich, aber in Wirklichkeit schob sich etwas darüber. Ich merkte, dass ich noch auf der gleichen Stelle stand, aber trotzdem weggetragen wurde. Mein Kreuz blieb warm, doch das half mir in diesem Fall sehr wenig, denn die anderen Kräfte hatten die Herrschaft übernommen.
Um es auf einen Punkt zu bringen, konnte ich nur sagen, dass sich die Welt um mich herum verschob. Das Reale verschwand, und das Irreale, aber in diesem Fall auch real, kehrte zurück.
Die Vergangenheit war da.
Und nicht nur ich, sondern auch Rosanna und die anderen Frauen standen in ihr.
***
Allmählich klärte sich das Bild auf. Die Konturen hoben sich schärfer ab, trotz der Dunkelheit. Ich konnte wieder recht gut sehen und machte auch Einzelheiten aus, obwohl auch zu dieser Zeit die Dunkelheit vorherrschte.
Nach meinem Gefühl mussten wir uns in der gleichen Umgebung befinden. Und trotzdem hatte sich etwas verändert. Ich sah keine Ruinen mehr, sondern schaute, wenn ich direkt nach vorn blickte, auf die mächtigen Mauern des Klosters.
So also hatte es einmal ausgesehen. Mächtig, aber nicht zu groß.
Mit nur kleinen Fenstern, die nicht erleuchtet waren und die ich erst beim zweiten Hinsehen entdeckte. Zu fremd war mir diese Welt nicht, denn ich hatte hierher schon einmal eine Reise unternommen. Doch da hatte ich nicht die Zeit und Muße gehabt, mich genau umzuschauen; das war jetzt anders.
Noch immer stand ich auf dem Platz vor dem Kloster. Hier hatte Konstanza in das Kohlenbecken steigen sollen. Sie hatte es auch getan, aber ihr war nichts passiert. Durch Baphomets Kräfte war sie unverwundbar gewesen und hatte ihr Leben fortführen können.
Bis wann? Bis wohin?
Sie musste Menschen um sich versammelt haben, um die Kreuzzüge im Namen des Dämons durchzuführen, und wahrscheinlich war dieses Kloster immer ihre Heimat gewesen, in die sie stets zurückkehrte.
Mich hatte die Magie nicht allein in diese Zeit hineingeschafft.
Auch Rosanna und ihre Getreuen waren mitgekommen. Sie hielten sich in der Nähe auf, aber sie hatten mich noch nicht entdeckt, was auch so bleiben sollte.
Ich hielt mich auch weiterhin im Hintergrund auf und durchforschte die Umgebung. Der Blick war durch die Finsternis gestört.
Über mir lag der Himmel wie ein gewaltiges Bett, auf dem sich die Kissen als Wolken verteilten. Hin und wieder schimmerte das Licht einiger Sterne durch, ich sah auch den Mond und stellte dann fest, dass die Geräusche ihre Normalität verloren hatten.
Es lag an meinen Schritten, die ich normal setzte und die ich auch normal hätte hören müssen, aber diese Normalität war nicht vorhanden. Zwar vernahm ich die Geräusche, nur klangen sie jetzt viel gedämpfter. Es musste mit der Zeitverschiebung zu tun haben.
Möglicherweise sahen mich andere nicht richtig stofflich.
Auf dem Vorplatz des Klosters war und blieb es ruhig. Von Konstanza war nach wie vor nichts zu sehen. Sie schien sich auf einem Kreuzzug zu befinden, der sie bestimmt nicht bis nach Asien oder Afrika führte, sondern nur die Umgebung betraf, sodass sie im eigenen Land ihre Spuren setzte.
Spanien war sehr katholisch zu dieser Zeit gewesen. Sehr restriktiv. Voll und ganz auf der Seite der Inquisition. Verdi hatte mit seiner Oper »Don Carlos« diesem ein Denkmal gesetzt. Und genau wegen dieser Verhältnisse würde es eine Frau wie Konstanza verdammt schwer haben, etwas zu erreichen. Alle waren gegen sie.
Dass sie die Lehren des Baphomet trotzdem durchsetzen wollte, grenzte schon an Selbstmord.
Aber sie hatte überlebt.
War das wirklich der Fall?
Ich hatte meine Zweifel. Irgendetwas lief hier falsch. Ich kam zu dem Teilergebnis, dass die Macht der Konstanza doch auf eine gewisse Art und Weise begrenzt war. Und das nicht durch Menschen wie ich, sondern durch die echten Umstände, die in diesem Land
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