1302 - Die Geisterfalle
Das schwöre ich. Und wenn ihr mich weiterhin fragt, so sage ich euch, dass er auch keine Traumgestalt gewesen ist. Der war echt, bestimmt. Nur eben jünger.«
»Und kein Geist?«
»Noch mal, Jane, nein!«
Wir kannten Sarah Goldwyn, und wir wussten, dass sie bei ihrer Meinung bleiben würde.
»Dann könntest du jetzt der Reihe nach erzählen, wie du die Dinge erlebt hast«, schlug ich vor.
»Wenn ihr mir glaubt?«
»Wir versuchen es.«
Sie verzog die Lippen. »Nun ja, wir werden sehen. Aber ich werde euch den Gefallen tun. Es war in den Morgenstunden, und ich lag noch im Tiefschlaf, als ich plötzlich durch ein Geräusch geweckt wurde.«
»Aus dem Tiefschlaf?«, fragte ich.
»Ja. Ich bin eben anders und habe innerlich eine Warnanlage eingebaut. Das müsst ihr mir glauben. Ich wurde also wach. Im ersten Augenblick wusste ich nicht, wo ich mich befand. Das passiert mir selten, aber hier erlebte ich es. Ich saß im Bett, ich schaute mich um. Es war noch dunkel, und ich hörte mein Herz laut und heftig schlagen und wollte das Licht einschalten, doch dazu ließ man mich nicht kommen.«
»Wer?«
Sie schaute mich böse an. »Die Gestalt, John. Die verdammte Gestalt, die plötzlich auftauchte. Sie war im Zimmer, und ich konnte nichts tun. Sie stand an der Tür, ich saß im Bett. Ich starrte nur in die eine Richtung und hatte dabei das Gefühl, langsam zu zerfließen. Ich sagte mir, dass es nicht wahr sein konnte. Dass ich mich täuschte, aber da irrte ich mich. Ich habe mich nicht getäuscht. Es hat sie gegeben. Die Gestalt, meine ich. Sie hielt sich für eine Weile an der Tür auf. Sie war ein dunkler Umriss.«
»Warum hast du nicht geschrieen?«, fragte Jane.
»Ha.« Sarah hob eine Hand und ließ sie schnell wieder sinken.
»Ich war einfach nicht in der Lage dazu. Ich konnte es nicht. Meine Kehle saß zu, verstehst du?«
»Klar. Das ist ein Moment des Schreckens.«
»Nicht nur ein Moment. Es dauerte an, Jane. Verdammt lange sogar. Kann auch sein, dass es mir so vorkam. Du weißt, dass die Lampe nahe an meinem Bett steht. Um sie zu erreichen, brauchte ich kaum den Arm auszustrecken, und das habe ich dann getan. Ich bekam tatsächlich den kleinen Schalter zu fassen und drehte ihn um.«
Sie legte eine Pause ein und schaute auf ihre Knie. »Es wurde hell«, flüsterte sie, »aber nicht richtig, versteht ihr. Das Licht gloste nur, als würde es künstlich zurückgehalten. Als hätte jemand etwas über die Birne geschmiert. So etwas ist mir noch nie passiert. Das müsst ihr mir glauben, aber es war nun mal der Fall, und daran kann ich nichts ändern.«
»Wie ging es weiter?«, fragte ich.
Sarah nickte. »Ja, wie ging es weiter?«, wiederholte sie. »Das Licht war also da. Ich sah den Eindringling besser, und der Schock erwischte mich wie ein kalter Wasserguss. Ich erkannte, wer mich da zu dieser frühen Morgenstunde besucht hatte.«
»Wer war es?«
»Mein Mann Arthur, John.« Sie nickte wieder heftig. »Ihr könnt es glauben oder nicht, aber es ist Arthur gewesen. Nur nicht so, wie ich ihn zuletzt kannte.«
»Also nicht mit dem Aussehen der Leiche.«
»Treffer, John.«
»Und er ist auch kein Geist gewesen – oder?«
»Auch das stimmt. Er war jünger. Er war ein Mensch. Er war stofflich!«, rief sie plötzlich und beugte sich vor. »Das zu entdecken, war für mich der größte Horror.«
»Dann ist doch eigentlich alles klar«, meinte Jane, »du hast einen Einbrecher gesehen, der aussah wie dein letzter Mann, als er noch etwas jünger gewesen ist.«
»Ja, meine Liebe, wenn es so gewesen wäre, dann wäre ich ja überglücklich. Nur war es leider nicht so. Die Dinge lagen ganz anders.«
»Wie denn?«
»Lass mich weiter erzählen. Ich habe auch mit einem Einbrecher gerechnet. Ich habe mich auch weiterhin nicht bewegt und kam mir vor wie schockgefroren. Es war komisch. Ich bekam nicht einmal die Angst, die sich gehört hätte. Ich konnte mich zwar nicht bewegen, doch auf irgendeine Art und Weise bin ich schon neugierig gewesen, was dieser Mensch da von mir wollte. Bestimmte Vorstellungen hatte ich nicht. Einer alten Schachtel wie ich sie bin, tut schon niemand etwas an. Ich kam mit mir so weit zurecht, dass ich mir den Eindringling sogar genauer anschauen konnte. Da stellte ich fest, dass er nackt war.« Sie lachte kurz auf. »Ja, er ist tatsächlich nackt gewesen. Für mich war das kaum zu fassen, doch ich nahm es hin. Ich hatte Besuch von einem nackten Mann bekommen und der auch kein Geist war, sondern
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