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1328 - Die Harmonie des Todes

Titel: 1328 - Die Harmonie des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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Armpaare ab, womit der andere ihn an sich drücken wollte, und betrat statt dessen den kahlen Vorbereitungsraum für Schüler.
    „Ah, Salaam Siin!"
    Er sah Ondech auf sich zukommen, der offenbar zum gleichen Zeitpunkt seine Prüfung abzuleisten hatte wie er. Ondech war ein sehr kleines Ophalerkind. An der rechten Seite war seine Haut bläulich getönt statt flammend rot, wie es sich bei Salaam Siin ergeben hatte. Außerdem fehlten ihm zwei der sechs Armpaare, so daß viele Leute ihn einen Krüppel schimpften. Aber Salaam Siin schätzte Ondechs Sangeskunst; der kleine Ophaler wußte seinen Membrankranz weit geschickter einzusetzen, als dies im Alter von eineinhalb Mardakaanjahren gewöhnlich der Fall war.
    „Ich grüße dich!" sang Salaam Siin zurück. Er hoffte, daß seiner Stimme die verbliebene Nervosität nicht anzumerken war.
    „Gleich ist es soweit; das Kollegium bereitet schon den Dom der Harmonie vor... Was wirst du singen, Salaam Siin? Ich selbst habe mich für den Gesang von Asuk entschieden, eine sichere Sache, nicht wahr?"
    Salaam Siin gab zunächst nur einen brummigen Baßlaut von sich. Er mußte sehr aufpassen, daß Ondechs redselige Nervosität nicht auf ihn überschlug.
    „He, Salaam Siin ... Hast du mich nicht verstanden? Was wirst du vortragen? Vielleicht eines unserer zaaturischen Sonette? Oder eines der großen Lieder, so wie ich ...? - He, du hörst mir nicht zu, Salaam Siin!"
    „Ich höre dich genau. Laut genug singst du ja, Ondech."
    Der kleine Ophaler verstand den Hinweis nicht. „Salaam Siin, es interessiert mich eben, verstehst du?"
    „Ja, ich verstehe. Ich werde den Gesang der Heraldischen Tore von Siom Som vortragen."
    Ein paar Sekunden erwiderte Ondech nichts darauf. Dann sagte er bloß: „Du bist verrückt, wenn du das versuchen willst."
    Salaam Siin hatte nicht damit gerechnet, auf Verständnis zu stoßen. Ondechs Meinung bedeutete ihm nichts. Was wirklich zählte, waren die Mitglieder des Kollegiums, die seinen Gesang anzuhören und zu bewerten hatten. Dort fiel die Entscheidung über seine Zukunft und nicht bei Ondech oder den Mitgliedern seines Haushalts.
    Salaam Siin ließ einen klingenden Ton hören. „Verrückt?" summte er leise. „Nein - ganz gewiß nicht."
     
    *
     
    Ondech war als erster an der Reihe. Er kehrte nach ungefähr einer Stunde mit hängendem Kopf zurück. Sein Hals war zu voller Länge ausgefahren und pendelte unkoordiniert hin und her.
    „Durchgefallen", sang er. „Sie haben mich tatsächlich durchfallen lassen ... Dabei war es eine sichere Sache, ich habe es schon tausendmal geschafft."
    Salaam Siin kam nicht mehr dazu, seinem Mitschüler Trost zu spenden. Eine gänzlich unmelodiöse, blecherne Lautsprecherstimme forderte ihn auf, sich im Dom der Harmonie einzufinden. „Warte auf die nächste Chance, Ondech", empfahl er noch, dann öffnete er die Tür und verschwand im Korridor zum Dom.
    Die Tür bestand aus einem schallschluckenden Feld, das unsichtbar war und beim Passieren auf Salaam Siins Organknospen leichtes Prickeln erzeugte. Urplötzlich wölbte, sich über ihm die eiförmige, mit mardakaanischem Kristallglas verspiegelte Rundung. Er spürte, wie jedes noch so kleine Geräusch dort auftraf und restlos versickerte, so daß keinerlei Hall oder Resonanzboden entstand. Ansonsten fehlte im Dom jeglicher Einrichtungsgegenstand. Kein fester Körper würde Dissonanzen erzeugen oder die abgestimmte Tonfülle einer Melodie verfälschen. An diesem Ort hatten bereits viele ausgebildete Sänger ihre Kunst vorgeführt, und einige davon gehörten zu den bedeutendsten Psitalenten, die Zaatur hervorgebracht hatte.
    In der Mitte des Doms standen sechs ausgebildete Sänger und Singlehrer. Salaam Siin kannte keinen davon mit Namen. Das allerdings war auch unnötig, denn er konnte sie jederzeit nach dem Klang der Stimme auseinanderhalten. Weiterhin besaßen ausgewachsene Ophaler gewisse körperliche Merkmale, die typischen Charakter hatten.
    So war der eiförmige Schädel des einen größer als gewöhnlich, während dem anderen Fühlerbüschel an den Tentakeln hingen, deren Farbe ein bißchen von der Norm abwich ...
    Schluß jetzt! schalt sich Salaam Siin. Er hatte wahrlich andere Sorgen, als die körperlichen Abweichungen seiner Prüfer anzustarren.
    „Salaam Siin", sangen die Mitglieder des Kollegiums nach einer Weile, „du bist gekommen, um vor unseren Gehörorganen deine erste Prüfung abzulegen. Bist du bereit?"
    „Ich bin bereit."
    „Triff deine Wahl!

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