1328 - Die Harmonie des Todes
entscheiden?"
Als aus dem Auditorium kein Vorschlag kam, verkündete der erste Sprecher: „Wir glauben, daß derjenige unser neuer Singlehrer sein soll, der den Chor der Belku namtal besser führt. Beide sollen einen Versuch haben; jetzt und hier, auf der Stelle!"
Salaam Siin war wie vor den Kopf geschlagen. Natürlich hatte er um seine Qualitäten gewußt, aber so plötzlich vor dieser Aufgabe zu stehen, kam ihm keineswegs zupaß.
Zunächst aber blieb keine Zeit zum Überlegen. Kaleng Proo war bereits vorgetreten und gab das Tempo zum Gesang der Spiele an. Es handelte sich dabei um einen Standardgesang, der nichtsdestotrotz notwendig war und gewisse Schwierigkeiten barg.
Diese galt es mit Routine zu meistern, und die Koordination und Inspiration hierzu mußte der Singlehrer liefern.
Jeder Ophaler, zumal jeder Sänger von Format, besaß eigene Vorstellungen, wie der Permanente Konflikt am besten zu verherrlichen war. Kaleng Proo bildete hier keine Ausnahme. Nur verabscheute Salaam Siin geradezu die Weise, wie sein Kontrahent aggressiv zur Sache ging und ohne viel Federlesens Wirkung erzielte.
Natürlich war er gezwungen, wie immer einen Teil des Chorgesangs und der psionischen Intensität beizusteuern. Früher hatte er dabei auch nichts gefunden, aber heute wurde ihm klar, wie sehr er im Grunde seines Wesens den Permanenten Konflikt ablehnte. Manchmal fürchtete er sich davor, daß in einem schwachen Augenblick andere Ophaler davon erfuhren. Fast alle Mitglieder seiner Rasse galten als bedingungslos kodextreu. Sie würden ihn mit Schimpf und Schande davonjagen.
Der Gesang der Spiele ging mit einem furiosen psionischen Schlag zu Ende, der Salaam Siin und den übrigen Sängern einiges abverlangte und in ihren Organknospen ein scharfes Wispern nachhallen ließ.
Dann war sekundenlang Stille.
„Salaam Siin!" sang eine Stimme. „Du bist an der Reihe, Salaam Siin!"
Er hörte nicht.
„Salaam Siin! Salaam Siin!"
Im Bruchteil einer Sekunde wurde ihm kar, daß er hier nichts mehr verloren hatte - daß sein Dasein in der Belku namtal, selbst als Singlehrer, auf Dauer jeglichen Sinn verlieren mußte. Die Entscheidung war so unwiderruflich wie spontan.
„Nein", antwortete er also, „ich werde den Chor nicht leiten. Ich möchte die Belku namtal verlassen und die Welten des Ophalischen Sternenreiches bereisen. Ich will ein fahrender Sänger sein, ein Troubadour. Ich werde junge Talente suchen und trotzdem sinnvoll leben."
Das letzte, was er vor Verlassen des Versammlungsdoms sah, war Kaleng Proos nur metergroße Gestalt. Der andere stand triumphierend da und musterte Salaam Siin mit einem Blick, aus dem der Haß noch immer nicht gewichen war.
Sie würden einander wiedersehen, das spürte Salaam Siin, und er empfand schon jetzt Furcht vor dieser Stunde.
3. Fahrender Sänger
Zwei Mardakaan-Jahre lang bereiste Salaam Siin die Welten des ophalischen Einflußbereichs. Bald nahm er auch andere Welten in Siom Som hinzu, wo er für die lokalen Bevölkerungen sang und oft großen Erfolg hatte. Allerdings war er manchmal gezwungen, für die Polizeibehörden Wahrheits-Chöre zu führen, und dies machte ihm weniger Freude. So kam es, daß er trotz aller Erfolge den ophalischen Einzugsbereich schließlich kaum mehr verließ. Er lernte rasch, sich jeweiligen Gegebenheiten anzupassen. Immerhin bestritt er seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft. Dies war nur möglich, indem er den jeweiligen Bewohnern bot, wofür sie zahlen wollten.
Auf Mardakaan und anderen bedeutenden Welten stellte die Lehre vom Permanenten Konflikt den einzig möglichen Inhalt eines Gesangs dar. Andernorts, besonders in den Provinzen unterentwickelter Planeten, konnte es wesentlich freier zugehen. Salaam Siin erhielt Gelegenheit, immer wieder auch die ästhetischen Elemente seines Gesangs in den Vordergrund zu rücken. Kolonialophaler honorierten Kunst in der Regel weitaus besser als die offiziell verordnete Propaganda. Trotzdem achtete er darauf, mit den Aufsichtsorganen nicht in Konflikt zu geraten.
Salaam Siin lernte durch harte Arbeit, der psionischen Komponente seines Gesangs mehr Volumen zu verleihen. Das Dasein als Troubadour war eine gnadenlose Schule: Wer seine Zuhörerschaft nicht ohne Unterstützung anderer Sänger in Bann schlagen konnte, hatte am Abend kein Geld, um sich Nahrung oder frische Kleidung zu beschaffen.
Aber es wurde ständig besser. Er besuchte Stern um Stern, und irgendwann war er überzeugt davon, die ihm eigene
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