Goethe war’s nicht
Opa Becker
Die Hälfte seiner schlechten Laune war hausgemacht. Trotz Wecker hatte er einen überaus wichtigen Termin versaubeutelt. Um zehn Uhr war Herr Schweitzer mit seinem Dealer Giorgio-Abdul aus der Dönerbude in der Brückenstraße verabredet gewesen, um sich für die nächsten Wochen mit illegalen Substanzen in Form von astreinem marokkanischen Dope einzudecken, bevor dieser sich auf den Weg in den Urlaub aufmachte. Um Viertel nach elf stand ein ebenso niedergeschlagener wie abgehetzter Sachsenhäuser Gelegenheitsdetektiv vor verschlossenen Türen. Die Betriebsferien sollten laut angebrachtem Zettel bis Mitte Dezember dauern, also ziemlich genau einen Monat.
Herr Schweitzer, ehemals Straßenbahnfahrer und seit geraumer Zeit Privatier aus Leidenschaft, schimpfte sich einen nichtsnutzigen Dünnbrettbohrer, als er sich unverrichteter Dinge wieder auf den Heimweg zu seiner Wohnung in den Mittleren Hasenpfad begab. Gute vier Wochen musste er fortan auf seine Gute-Nacht-Joints verzichten; einen anderen
Spezialitäten
-Händler kannte er nämlich nicht.
Die zweite Hälfte seiner Depression setzte sich aus zwei Komponenten zusammen. Zum einen war da das typisch schmuddelige Novemberwetter – nasskalt und wolkenverhangen, so wie man es früher von diesem Monat kannte, bevor Klimakiller das jahreszeitliche Gefüge durcheinanderwirbelten. Zum anderen stand morgen noch ein Termin auf dem Programm, den Herr Schweitzer so dringend benötigte wie AIDS: ein Geschäftsessen mit einem möglichen Geldgeber für eine Skulpturen-Ausstellung seiner Freundin Maria von der Heide im Foyer der Teutonischen Staatsbank. Normalerweise behelligte ihn seine Liebste mit solch förmlichen Angelegenheiten nicht und ging alleine hin. Doch diesmal hatte Maria ihm regelrecht das Versprechen abgenommen, sie zu begleiten. Mindestens drei Mal hatte sie ihn allein diese Woche auf die Wichtigkeit der Einladung hingewiesen.
Da half es auch nichts, dass Herr Schweitzer für diesen Abend von ihr als Trost zum Essen in die Ebbelwei-Gaststätte Dautel eingeladen worden war.
Zu Hause angekommen, entledigte er sich Mantel, Schal und Mütze und baute sich einen Frustrations-Joint. Alles, was noch da war und bei vernünftiger Rationierung drei Abende gereicht hätte, knallte er in die Tüte. „Ist ja eh egal“, brabbelte er vor sich hin.
Nach fünfzehn Minuten hatte sich die volle Wirkung entfaltet und Herr Schweitzer schlich ins Bett. Als wolle ihn irgendein Gott aufmuntern, erschien für einen kurzen Moment die Sonne. Das erste Mal seit zehn grauen Tagen.
Nach zweieinhalb Stunden Schlaf hatte sich nichts geändert. Als Herr Schweitzer in den Spiegel schaute, konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, eine tückische Fazialisparese sei über ihn hereingebrochen, so entstellt wirkte sein Ebenbild.
Er hatte seine eigenen Methoden mit Tagen umzugehen, die prinzipiell aus dem Kalender gestrichen gehörten. Entweder er stattete dem Südfriedhof einen Besuch ab – dort lagen Menschen, denen es noch beschissener ging als ihm – oder er beschäftigte sich mit Dingen, die ihm höchst zuwider waren: Hausarbeit.
Wie ein Wahnsinniger schrubbte, saugte, spülte und staubwedelte Herr Schweitzer in der Folgezeit und im Sauseschritt durch die Zimmer. Ja, schlimmer noch, selbst die Scheiben waren vor seinem arbeitshungrigen Fensterleder nicht sicher.
Und in keiner einzigen Sekunde dachte er dabei an seine Mitbewohnerin Laura, die Anfang nächster Woche von einem zweiwöchigen Korsika-Trip zurückzukehren gedachte und sich natürlich über eine blitzblanke Wohnung freuen würde. Es war reine Selbsttherapie, die ihn antrieb. Zu guter Letzt säuberte er sogar noch den Backofen, was diesem seit bestimmt fünf Jahren nicht mehr widerfahren war.
Um sechs glänzte sein Heim wie aus einem Katalog für Schöner Wohnen und Herrn Schweitzers Laune war nicht mehr ganz so übel. Entgegen der landläufigen Meinung fühlen sich nämlich auch Männer in geputzten Wohnungen wohler. Die Gretchenfrage lautete nur, wer sie auf Hochglanz brachte. Herr Schweitzer nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank und überlegte, was wohl eine Putzfrau heutzutage kostete.
Während er so vor sich hin sinnierte und starrte, klingelte das Telefon.
Seine Freundin Maria: „Hallo, Schatz, wann wollen wir uns heute treffen?“
„Vielleicht so gegen sieben?!“
„Passt mir gut. Was hast du heute so gemacht?“
Seine intensive Putzaktion verleugnend – nicht dass Maria noch auf den
Weitere Kostenlose Bücher