1328 - Die Lust und der Tod
Lächeln verschwand aus Beas Gesicht. »Mal eine andere Frage, Jane. So darf ich Sie doch nennen – oder?«
»Gern.«
»Okay. Angenommen, Sie haben Recht, Jane, dass mir jemand nach dem Leben trachtet. Dann frage ich mich allen Ernstes, wer das sein sollte. Ich denke nicht, dass ich so mächtige Feinde habe. Es gibt in meinem Geschäft wohl Konkurrenten, aber keine Feinde, die zu so etwas fähig wären. Nach wie vor gehe ich davon aus, dass Sie sich geirrt haben. Dabei bleibe ich auch, was Ihnen wohl kaum passen wird.«
»So ist es.«
»Dann frage ich mich, warum Sie von einer Lebensgefahr für mich sprechen.«
Jane hatte mit dieser Frage gerechnet, und sie sprach von einem Freund, der eine bestimmte Warnung erhalten hätte.
Beas abwartendes Lächeln zerbrach, und sie schüttelte den Kopf.
»Mehr haben Sie nicht in der Hand?«
»Nein!«
Der Blick der rothaarigen Frau erhielt eine gewisse Schärfe.
»Versetzen Sie sich mal in meine Situation. Wie würden Sie reagieren, wenn plötzlich jemand erscheint und Ihnen so etwas erzählt?«
»Ich würde ihm zuhören und nachdenken. Außerdem kommt es darauf an, wer mir so etwas erzählt.«
»Aha. Dann halten Sie sich also für kompetent?«
»Genau.«
»Sie sind ganz schön selbstbewusst«, gab Bea zu. »Alle Achtung, kann ich da nur sagen. Ich habe es gelernt, Menschen einzuschätzen, und muss Ihnen gestehen, dass ich Sie nicht für eine überdrehte Spinnerin halte, die mit allen Mitteln versucht, sich hier Einlass zu verschaffen. Wer sind Sie eigentlich?«
Jane legte die Karten auf den Tisch, ohne allerdings die Trümpfe zu zeigen. »Ich arbeite als Privatdetektivin. Im Laufe meiner Ermittlungen an einem anderen Fall habe ich davon gehört, dass diese Ausstellung hier auch Gefahren birgt.«
»Gefahren?«
»Ja.«
»Welcher Art?«
»Man kann es nicht so genau erklären, aber ich würde an Ihrer Stelle aufpassen. Die Gefahren werden von Menschen zumeist unterschätzt, und Sie leiten hier eine Ausstellung mit dem Oberbegriff ›Die Metaphysik in der Kunst‹. Sie wollen dem Betrachter also vor Augen halten, dass es nicht nur die Dinge gibt, die er mit den eigenen Augen sieht, sondern dass noch etwas dahinter existiert, das einem Menschen auf den ersten Blick verborgen bleibt, sich aber durchaus melden oder zeigen kann und vielleicht sogar eine Gefahr darstellen kann.«
Beatrice Hunt schwieg zunächst. Es war nicht einfach, den Sinn der Worte zu erfassen, und sie musste darüber nachdenken. »Es kann sein, dass Sie Recht haben. Ich bin es gewohnt, vieles zu erklären und den Besuchern nahe zu bringen. Man muss sich immer etwas einfallen lassen, um den Sinn eines Kunstwerkes zu verstehen. Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick erscheint. Alles kommt auf den Blickwinkel an. Sie sehen hin, sie erkennen etwas, sie drehen den Kopf zur Seite, schauen noch einmal hin und erkennen ein ganz anderes Motiv. Eine optische Täuschung? Auch. Aber nicht nur, denn die Künstler haben ihre Werke bewusst so angeordnet, dass man in ihnen zwei Motive sehen kann. Oder auch drei. Vielleicht auch kaum zu erfassende Motive, wie bei dem fantastischen Werk von Dali, das er selbst ›Das endlose Rätsel‹ genannt hat. Wir haben es hier ausgestellt. Sie können es sich anschauen. Oder wie das Porträt des Mannes aus Früchten. Da sehen sie zuerst einen Obstkorb, und wenn Sie das Bild umdrehen, wird daraus ein Gesicht.«
»Interessant.«
»Danke, Jane, aber das meinen Sie nicht, oder?«
»Nein. Ich habe etwas anderes im Sinn. Es ist auch kein Bild, sondern eine Plastik.«
»Aha, da kommen wir der Sache schon näher. Was suchen Sie denn, wenn ich mal direkt fragen darf?«
»Ich habe sie im Internet gesehen und muss gestehen, dass ich davon sehr beeindruckt war.«
Bea Hunt nickte. Sie wusste Bescheid, ohne dass Jane konkret geworden war. »Sie meinen bestimmt die Leiber, die einen Totenkopf bilden.«
»Die meine ich!«
Bea Hunt nickte und schien beeindruckt zu sein. »Da haben Sie sich wirklich eines unserer ausgefallensten Stücke ausgesucht. Kompliment, kann ich nur sagen. Es ist ein wahres Meisterwerk und einem Bild nachgeahmt, das in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts entstanden ist. Der Künstler hieß Halsman und nannte sein Werk ›In Voluptata Mors‹.«
»Können Sie das übersetzen?«
»Gern. In der Begierde der Tod. Man hat dieses Bild auch als Kopf des Herodes bezeichnet, und es hat einen anderen Künstler so angeregt und fasziniert, dass er eine
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