133 - Die Höllenmühle
ihm entfernt stand zwischen flackernden Wachslichtern ein hochgewachsener,
alter Mann. Sein Haar war schlohweiß, sein Gesicht von Wind und Wetter gegerbt
wie altes Leder. Die Augen lagen tief in den Höhlen, hatten aber den
strahlenden Glanz der Jugend. Dieser Mann war ein Greis, und doch wirkte er
nicht greisenhaft, sondern kräftig, bewegte sich mit federnden, elastischen
Schritten, als er um Larry Brent strich wie ein Raubtier um sein Opfer. Der
Alte hielt in seinen Händen eine Sense.
»Wer sind Sie? Was wollen Sie hier? Wo kommen
Sie her ?« Jedes einzelne Wort drang klar und deutlich
über die Lippen des Mannes aus dem Keller.
Larry verließ sich auf seine
Menschenkenntnis. Er war überzeugt davon, daß ihm kein Haar gekrümmt würde,
wenn er sich entsprechend verhielt. Auf dieser Mühle gab es mehr als ein großes
Geheimnis. Obwohl er den alten Jan de Boer, den letzten Besitzer dieses
Anwesens, noch nie gesehen hatte, wußte er sofort, daß er ihm gegenüberstand.
X-RAY-3 stellte sich als Mitarbeiter von
Kommissar Laasen vor.
De Boer zuckte zusammen. »Laasen ist hier?
Das ist nicht gut. Niemand sollte hier sein. Das wäre besser. Dann könnte ich
zum Ziel gelangen. Heute ist der entscheidende Tag ...«
Doch die Tatsache, daß sich die Polizei für
seine Mühle interessierte, ließ sich nun nicht mehr von der Hand weisen. Und
das Auftauchen Lars Laasens, der ebenfalls in den Schacht gesprungen war und
nun in den kapellenähnlichen Anbau des Kellers kam, sich irritiert und
verwundert nach allen Seiten umblickte, brachte ein Gespräch in Gang, das Larry
in seinem Leben nicht mehr vergaß.
Der alte Müller stellte die Sense mit der
rasiermesserscharfen Schneide auf den Boden und stützte sich auf den Stiel.
»Ich habe nichts Unrechtes getan, Kommissar«, begann er ganz von selbst, als
müsse er, was zur Kenntnis der Polizei gelangt war, rechtfertigen. »Was Sie
hier unten sehen, ist Versteck und Falle gleichzeitig. Ich selbst halte mich
seit einigen Tagen hier auf, weil die Stunde der Abrechnung gekommen ist, weil
die Teuflischen zuschlagen wollen, um ihn mir endlich zu nehmen. Daran wollte
ich sie hindern. Denn wenn sie vor dem 19. Oktober zum Ziel gelangen, ihn in
ihre Hände bekommen - dann war alles umsonst .« Er
stellte die Sense gegen die Wand und näherte sich dann der Gestalt auf dem
Deckenlager neben dem selbsterbauten Altar. »Ich habe alles nur wegen ihm
getan. Ich wollte ihn retten .«
Er kniete neben die schlafende Gestalt. Der
Mann auf dem Boden war groß und stark. Larry schätzte ihn auf mindestens zwei
bis zweieinhalb Zentner. Er hatte Hände wie Dreschflegel.
Erst jetzt, als Laasen und Brent näherkamen,
sahen sie, daß der kräftige Mann am Boden mit Ketten an Händen und Füßen
gefesselt war.
»Er ist seit einigen Tagen sehr unruhig«,
erklärte de Boer, während seine Hand liebevoll zärtlich über den Kopf des
Schlafenden strich. Er hatte einen kräftigen Stiernacken und schütteres,
graues Haar, und im flackernden Schein war
eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihm, der ebenfalls mindestens sechzig Jahre
alt war, und dem Greis, der diese unterirdische Kapelle bewachte, zu erkennen.
»Wer ist das, de Boer ?« fragte Laasen mit bewegter Stimme. Eine furchtbare Ahnung stieg in ihm auf.
»Das ist Robert, mein Sohn. Robert de Boer.«
*
Nach diesen Worten herrschte minutenlang
betretenes Schweigen.
Larry Brent, der mit den Hintergründen und
der Geschichte der >Höllenmühle< durch Lars Laasen vertraut gemacht
worden war, ahnte, welch einmaliges Schicksal sich hier erfüllt hatte.
Jan de Boer hatte vor dreißig Jahren seinen
Sohn nach dem Fluch durch seine zweite, besitzgierige Frau nicht mehr von der
Mühle weggelassen aus Furcht, der unheimliche Bann durch den Teufel könne sich
erfüllen.
Es kam heraus, daß der alte de Boer mit Hilfe
seines Sohnes diesen unterirdischen Keller grub und ihn einigermaßen wohnlich
einrichtete und gleichzeitig mit Hilfe christlicher Symbole und geweihtem
Wasser einen Schutzwall gegen das Böse errichtete, das durch die Aktivitäten,
durch den Fluch der zweiten Frau lebendig geworden war.
Seit dreißig Jahren lebte und verbarg Robert
de Boer sich hier unten und wurde von seinem alten Vater versorgt. In all der
Zeit entwickelte er sich selbst zu einem alten Mann.
Welch unheimliches, unmenschliches Schicksal,
das in jener Nacht begann, als Robert de Boer zum ersten Mal hatte sterben sollen . Doch was ihn hier erwartete, war schlimmer
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