1335 - Mandragoros Liebeshexe
wie ich es von ihm gewohnt war. Er hatte sich vors Fenster gestellt und drehte sich nur halb um, als ich sein Büro betrat.
»Es wird Herbst, John«, sagte er und nickte sich selbst in der Scheibe zu. »Man kann es bereits sehen. Oder ist Ihnen der leichte Morgennebel heute entgangen?«
»Nein, Sir, das ist er nicht.«
Auch ich ging zum Fenster. Der Blick war herrlich, denn über London stand die Vormittagssonne, als wollte sie den Worten des Superintendenten widersprechen. Sie malte die gewaltige Stadt mit ihrem goldenen Schein an, und unser Blick glitt bis hinüber zum Park, in dem die Bäume noch im vollen Saft standen und keine Blätter verloren. Was in diesem Jahr wegen des brutal heißen Sommers allerdings früher einsetzen würde. Da waren sich die Fachleute einig.
»Manchmal kann man sich in die Stadt wirklich verlieben, John. Und auch in die Natur, die ja hier noch vorhanden ist.«
»Stimmt.«
»Um Natur geht es auch. Das ist der Grund, weshalb ich Sie hergebeten habe.«
Ich war überrascht und schüttelte leicht den Kopf. Sir James gab mir keine Erklärung ab, sondern bat mich, erst mal Platz zu nehmen. Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und fixierte mich durch die dicken Gläser seiner Brille, wobei er zunächst noch den Mund hielt. Wie jemand, der nach dem richtigen Einstieg suchte.
Schließlich lächelte er und meinte: »Wir kennen uns mittlerweile recht lange, John. Wenn Sie sich erinnern, haben Sie auch Fälle gelöst, um die ich Sie privat gebeten habe.«
»Das ist wohl wahr, Sir. Letztendlich hatten sie immer mit meinem Job zu tun.«
»Genau.«
Ich kam direkt zur Sache. »Und nun haben Sie wieder ein mehr privates Problem, mit dem Sie sich beschäftigen.«
»Genau, John. Und Sie sollen mir dabei helfen, es zu lösen.«
»Kann ich das?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Aber einfach ist es nicht, das sage ich Ihnen gleich.« Er schob seine Brille zurecht, die ihm verrutscht war und kam allmählich zur Sache, wobei er schon etwas ausholte.
»Wie Sie wissen, John, spielt sich mein Leben auch zu einem großen Teil in meinem Club ab. Dort lernt man natürlich zahlreiche Menschen kennen, und das nicht nur oberflächlich. So werde ich oft genug mit ihren Problemen konfrontiert, aus denen auch Fälle erwachsen sind, die Sie beruflich etwas angingen.«
»O ja. Daran erinnere ich mich gut.«
»Okay. In diesem Fall sieht alles so aus, als könnten sich die Dinge wiederholen. Es geht um zwei Morde an Menschen, die nicht Mitglieder meines Clubs sind. Ich sprach mit einem guten und vertrauensvollen Bekannten aus dem Club über den Fall. Zwei seiner Freunde sind einem schrecklichen Täter zum Opfer gefallen. Sie gehörten zu einem Jagdclub, in dem er auch tätig ist. Damit komme ich wieder auf den Herbst zu sprechen. Sie wissen selbst, dass die Jagden um diese Jahreszeit stattfinden. Man kann dazu stehen wie man will. Ich weiß, dass es Gegner und Befürworter gibt, die Traditionalisten. Das ist nicht das Problem, sondern die beiden Toten.«
»Man brachte sie also um.«
»Genau.«
»Und die Kollegen?«
Sir James runzelte die Stirn. »Ich habe mir die Unterlagen kommen lassen. Viel ist dabei nicht herausgekommen. Gar nichts, wenn man ehrlich sein soll.«
»Wurden keine Spuren gefunden?«
»Schon. Nur konnte man nichts damit anfangen. Es gab Fingerabdrücke, deren Muster überhaupt nicht in das normale Raster der Prints hineinpasste.«
»Wieso?«
»Sie waren zu glatt. Sie sahen aus, als hätte man normale Prints verwischt, aber dabei geschludert. Gut, das kann ein oder zwei Mal passieren, aber nicht in der gesamten Jagdhütte, in der die Leiche des Mannes gefunden wurde.«
»Waren das die einzigen Spuren?«
»Nein, das waren sie nicht. Man hat noch DNA-Analysen durchgeführt und auch etwas gefunden, was man sich nicht erklären kann. Auf einen normalen Mörder jedenfalls deuten die Spuren nicht hin. Sie müssen zu etwas anderem gehören.«
»Und wozu?«, fragte ich.
Sir James schaute mich jetzt starr an, bevor er sagte: »Die Spuren deuten auf eine Pflanze hin!«
Ich schwieg, denn jetzt hatte es mir wirklich die Sprache verschlagen. Plötzlich kroch über meinen Rücken eine Gänsehaut. Auf der Stirn lag ein dünner Schweißfilm, obwohl es gar nicht so warm im Büro war. Verstehen konnte ich das nicht oder doch, weil ich davon ausging, dass die Hütte in einer waldreichen Umgebung lag.
Ich versuchte, locker zu sein. »Kann man das in dieser Umgebung nicht als
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