1340 - Lady Sarahs teuflische Tochter
eine andere Person gewesen sein, und Jane grübelte darüber noch nach, als sie ins Schlafzimmer ging, um sich für den Abend umzuziehen.
Zu elegant wollte sie nicht erscheinen, eher geschäftsmäßig. Dazu passte der graue Hosenanzug aus einem etwas dickeren Kaschmir-Wolle-Gemisch, denn draußen waren die Temperaturen recht tief gesunken. Fast schon ungewöhnlich für den Oktober.
Unter der Jacke wollte sie ein lindgrünes Top tragen, dessen Ausschnitt nicht zu weit war. Eine Kette legte sie ebenfalls um. Sie bestand aus Gold und sah aus, als hätten sich mehrere Würmer ineinander verschlungen. Der leichte Wollmantel hing unten, aber den brauchte Jane noch nicht. Es blieb ihr Zeit genug. Zudem lag die Kanzlei nicht sehr weit von ihrem Haus entfernt.
Sie hatte gedacht, das Treffen locker angehen zu können. Das war jetzt vorbei. Obwohl sie nicht daran denken wollte, blieb der Anruf in ihrer Erinnerung bestehen. Sie musste immer wieder an ihn denken, und sie grübelte auch darüber nach, welche Frau sie da kontaktiert hatte. Welchen Trick hatte sich die andere Seite wieder einfallen lassen? Oder hing es doch mit ihrem Job als Detektivin zusammen?
Sie konnte noch so lange darüber nachdenken, es gab keine Lösung für sie.
Der Treuhänder hieß William Hobson. Er hatte ihr nicht gesagt, dass sie noch irgendwelche Unterlagen mitbringen sollte, und so brauchte Jane auch keinen Aktenkoffer.
Sie verließ die erste Etage und ging nach unten. Als sie dem Geräusch ihrer Tritte auf den Stufen der Treppe lauschte, dachte sie trotzdem an die Ruhe, die innerhalb des Hauses herrschte, seit es Lady Sarah nicht mehr gab.
An manchen Tagen machte die Stille Jane nervös. Sie vermisste Sarah stärker als sie es gedacht hatte. In den ersten Tagen nach ihrem Tod war Jane kaum dazu gekommen, nachzudenken. Je mehr Zeit verstrich, umso stärker kehrte die Erinnerung zurück. Jane ertappte sich dabei, dass sie immer mal wieder in Sarahs kleines Wohnzimmer schaute, das mit so vielen Möbeln und auch Nippes überladen war. Designer hätten über ein derartiges Bild den Kopf geschüttelt, aber Sarah hatte sich in all dem Kram sichtlich wohl gefühlt, und die Einrichtung hatte auch einen gewissen Charme, den ihr auch Jane Collins nicht absprach.
Auch jetzt warf sie wieder einen Blick in das Zimmer. Sie hatte einfach den Wunsch, sich verabschieden zu müssen, obwohl Sarah nicht mehr in ihrem Stammsessel sitzen würde.
Der Raum sah aus wie immer. Da hatte sich nichts verändert, und Jane hütete sich auch davor, das zu tun. Er war praktisch zu einer Gedenkstätte für Sarah Goldwyn geworden.
Ihr Lächeln war etwas müde, als sie sich wieder zurückzog. Sie vermisste die Fragen der Horror-Oma.
Wo gehst du hin? Was hast du? Soll ich dich nicht lieber begleiten? Sei auch vorsichtig…
All das hatte Jane manchmal genervt. Nun allerdings wäre sie froh gewesen, wenn ihr jemand diese Fragen gestellt hätte. Leider würde das nicht mehr eintreffen.
Sie schloss die Tür. Bevor sie ihren Mantel vom Bügel nahm, warf sie noch einen Blick auf die Uhr. Ja, jetzt wurde es Zeit, dass sie sich langsam in Bewegung setzte.
Wieder meldete sich das Telefon und störte ihr Vorhaben. Jane Collins war keine ängstliche Frau, in diesem Augenblick allerdings zuckte sie schon zusammen und dachte natürlich sofort wieder an die Anruferin. Sie musste nur ein paar Schritte gehen, um an den Apparat zu gelangen.
Den Hörer hob sie recht langsam ab. In ihrem Gesicht lag ein nachdenklicher und gespannter Ausdruck.
Jane kam nicht dazu, ihren Namen zu nennen, der Anrufer war schneller. Wieder hörte sie eine Frauenstimme, aber diesmal legte sich ein Lächeln um ihre Lippen.
»Hi, Shao. Das ist aber eine Überraschung.«
Die Chinesin lachte. »Hoffentlich störe ich dich nicht…«
»Nein, nein, ganz und gar nicht. Was gibt es denn?«
»Nichts Besonderes eigentlich. Ich wollte nur mal hören, wie es dir geht.«
»Würde ich schlecht sagen, müsste ich lügen. Ich denke natürlich noch immer viel an Sarah. Ist auch kein Wunder, wenn man weiterhin in dem gleichen Haus wohnt.«
»Das kann ich mir denken. Da wird einem das Alleinsein so richtig bewusst.«
»Du sagst es.«
»Genau das ist das Thema. Auch ich bin allein. Suko und John treiben sich in Alet-les-Bains herum und…«
Jane unterbrach sie. »Sag mal, Shao, hast du etwas von ihnen gehört?«
»Nein, leider nicht. Oder nichts Genaues. Sie haben da unten Probleme, aber sie leben, und sie werden noch
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