1340 - Lady Sarahs teuflische Tochter
dreißigjährigen Frau. Es hatte einen leicht puppenhaften, aber auch etwas lasziven Ausdruck. Das mochte an dem Schmollmund mit den etwas dicken Lippen liegen. Schmale Augen schauten Jane an, und die Pistole, die die Frau mit beiden Händen festhielt, zitterte kein bisschen. Sie schien mit der Waffe umgehen zu können.
Bekleidet war die Person mit einer engen roten Hose und einem Oberteil in der gleichen Farbe. Allerdings hörte es über dem Bauchnabel auf, sodass ein Teil der hellen Haut zu sehen war. So wie sie hätte sich auch Justine Cavallo kleiden können. Zudem zeigte das Oberteil einen sehr tiefen Ausschnitt, aus dem zwei feste Brüste hervorquollen, die kaum von dem Stoff gehalten werden konnten.
Die noch Unbekannte ging zwei Schritte auf Jane Collins zu, bevor sie wieder stehen blieb.
»Ich kenne dich«, sprach sie mit kalter Stimme. »Und ich weiß auch, dass du bewaffnet bist. Du gehst nie ohne Pistole aus dem Haus. Und deshalb wirst du sie jetzt ganz vorsichtig hervorholen und zu Boden werfen. Verstanden?«
»Ja, das habe ich.«
»Dann los!«
Jane zögerte noch. »Warum? Warum soll ich das tun, zum Teufel?«
»Wenn du es nicht machst, wirst du gleich beim Teufel sein. Das verspreche ich dir.«
»Und warum willst du mich töten?«
»Weil du nicht verschwunden bist.«
»Wieso? Warum?«
»Die Waffe!« Die Aufforderung kam einem Bellen gleich. Jane wurde spätestens jetzt klar, dass diese Person nicht scherzte. Sie würde eiskalt töten.
Während sich Jane Collins vorsichtig bewegte, schossen unzählige Gedanken durch ihren Kopf. Sie vermutete, sie überlegte, aber zu einem Ergebnis kam sie nicht. Sie fragte sich auch, wer William Hobson die Kehle durchgeschnitten hatte. War diese unbekannte Person so abgebrüht, dass sie so etwas fertig brachte? Jane konnte es kaum glauben, aber sie musste mit allem rechnen, denn es gab auch Frauen, die über Leichen gingen.
Jane legte zuerst ihre Handtasche auf den Schreibtisch, dann griff sie nach der Waffe und zog sie mit spitzen Fingern hervor. Die Mündung wies dabei nach unten und pendelte leicht hin und her.
»Wirf sie zu Boden!«
Jane blieb nichts anderes übrig, als die Waffe über den Schreibtisch hinwegzuschleudern. Sie schlug mit einem dumpfen Laut auf den dicken Teppich.
»Zufrieden?«
»Vorerst.« Die Unbekannte lächelte und stieß plötzlich einen dünnen Pfiff aus.
Wenig später bewegte sich die Tür. Sie wurde nach innen gedrückt, und Jane sah einen ihr bekannten Mann, der sich in das Büro hineinschob und ebenfalls mit einer Pistole bewaffnet war.
Es war der Typ vom Empfang. Er hatte sich nach oben geschlichen und stand jetzt im Büro.
»Alles klar?«, fragte er.
»Ja, Robin. Es lief wunderbar glatt. Ich sehe schon alles in greifbarer Nähe.«
»So sollte es sein.« Robin bewegte sich lautlos und geschmeidig auf die am Boden liegende Pistole zu und steckte sie ein. Damit war auch Janes letzte Chance dahin.
Sie wusste vieles, nur wusste sie nicht, was dieser Überfall bedeutete. Und auch nicht der verdammte Mord. Warum war Hobson getötet worden? Ging es letztendlich um Lady Sarahs Erbschaft?
Es war alles möglich oder sogar wahrscheinlich in dieser Situation. Jane dachte für einen Moment daran, dass die Horror-Oma noch ein Geheimnis verborgen hatte, das erst jetzt zum Vorschein kam.
Sie konnte sich vorstellen, dass es Menschen gab, die etwas dagegen hatten, dass sie Sarah beerbte.
Den Mann kannte Jane Collins namentlich. Er hieß Robin. Nur wusste sie nicht, wer die Frau war, die sie mit der Waffe bedrohte.
Und das wollte Jane erfahren.
»Darf ich jetzt wissen, wer Sie sind?«
»Ja, gern. Ich heiße Claudine Parker.«
»Wie schön. Und weiter?«
Claudine lächelte jetzt. Dann gab sie eine Antwort, die Jane Collins erschütterte.
»Ich bin Sarah Goldwyns Tochter!«
***
Jane wollte schreien. Sie wollte »unmöglich« rufen, doch alles, was sie versuchte, blieb in ihrem Hals stecken. Sie konnte es nicht. Sie spürte nur, dass sie allmählich erbleichte und brachte ein trockenes Würgen hervor.
Sarah Goldwyns Tochter!
War das zum Lachen oder zum Schreien? Jane fand keine Antwort darauf. Sie konzentrierte sich auf das Gesicht der Frau und auf deren Augen im Besonderen. Sie hatten ihren Ausdruck nicht verändert. So fand Jane nicht heraus, ob die Person log oder nicht.
Wieso hatte Lady Sarah eine Tochter? Wenn es stimmte, warum hatte sie Jane dann nichts davon gesagt?
Nein, das ging nicht. Sie hätte etwas gesagt. Sarah
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