1344 - Fluchtburg der Engel
Sie ließen ihn nicht auflodern, sondern aufglühen. Er verwandelte sich in ein düsteres Rot und diese Glut verwandelte all das, was sie erfasste, in Asche.
Ich wurde zum Zuschauer.
Ich hörte die Schreie, die sich veränderten, je mehr die Glut sich in den Körper hineinfraß. Sie sanken zusammen, sie wurden so leise, dass nur noch ein Wimmern zu hören war und auch das sackte so plötzlich weg wie die Frau zusammenbrach.
Da hielt kein Knochen mehr. Da gab es keinen Widerstand. Die Haut floss weg wie alter Staub. Vor mir verwandelte sich das Gesicht in eine Fratze, die auch nicht normal blieb, sondern sich ebenfalls auflöste und wie eine alte Maske zerrieselte.
Der Staub rutschte an den Knochen entlang. Sie zeigten keine bleiche Farbe, sondern waren mit der roten, alles zerstörenden Glut gefüllt, die sie ausbrannte.
In meinen Armen rutschte das nach unten, was einmal Manon Lacre gewesen war. Bill Conolly und ich hatten sie eine Zeitlang beschützen können, was jetzt vorbei war.
Ich wusste überhaupt nicht, wie ich mich fühlte und ob ich etwas fühlte, als die Reste vor mir zu Boden sanken. Es war die Realität, doch für mich war alles so fern und weit weg. Hätte ich einen bösen Traum erlebt, ich hätte mich wohl nicht anders gefühlt.
Als sich auch die letzten Aschereste auf dem Boden verteilt hatten, erwachte ich aus diesem »Traum«. Ich stand in der rauen Wirklichkeit, die allerdings nur allmählich zurückkehrte. Intervallweise erkannte ich meine Umgebung. Ich spürte den Wind, der durch den Tunnel fuhr. Es war ein kalter Zug, der aus zahlreichen Geistern zu bestehen schien, die in mein Gesicht fuhren und mich frösteln ließen.
Neben mir führten die Schienen entlang. Es war keine Bahn gekommen. Die Menschen in der Station hatten perfekt reagiert und den Verkehr gestoppt. Die Leere des Tunnels ließ mich erschaudern. Ebenfalls die Kälte. Aber es war nicht nur die Kälte, die mich von außen erreichte. Es war auch die in meinem Innern. Sie hatte einen Grund. Sie war eine Folge meines eigenen Zustands, denn ich stand in diesem zugigen Tunnel beileibe nicht als Sieger auf dem Podest.
Wäre es so gewesen, dann hätte ich zusammen mit Manon Lacre die Röhren verlassen. Nun würde ich allein gehen. Was einmal ein Mensch gewesen war, wenn auch ein ungewöhnlicher, lag vor meinen Füßen. Diesmal endgültig verbrannt.
Es war einer dieser Momente, in denen ich eingestehen musste, dass die Kräfte der Hölle doch stärker gewesen waren. Der Schutz des Feuerengels Uriel hatte nichts gebracht. Dafür hatte der Teufel sein Zeichen gesetzt und gezeigt, welche Macht er besaß.
Beide Arme hatte ich sinken lassen und warf einen Blick auf das Kreuz in meiner Rechten. Mich hatte es beschützt. Bei Manon war es machtlos gewesen. Trotzdem war mein Vertrauen in es nicht erschüttert, denn ich wusste auch, dass man nicht immer siegen konnte.
War der Fall Manon Lacre beendet?
Es sah so aus. Bei genauerem Nachdenken war er das für mich nicht. Es gab etwas, das noch geklärt werden musste und das würden wir auch tun. So viel stand fest.
Ich drehte mich um, als ich Stimmen hörte. Sie hallten laut durch die Röhre. Ich sah die tanzenden Lichter der Lampen und hörte auch die harten Tritte.
Der Suchtrupp aus Uniformierten war in den Tunnel eingedrungen. Mit beiden Händen winkte ich, als mich das Licht der starken Scheinwerfer blendete. Ich wollte den Leuten klar machen, dass ich okay war und sie nichts zu befürchten brauchten.
Schon bald war ich umringt. Fragen stürmten auf mich ein, die ich kaum beantwortete. Ich wollte aus dem Tunnel, hielt nach meinem Freund Bill Ausschau, sah ihn nicht und fragte nach ihm.
Mir wurde gesagt, dass er in der Station wartete.
»Ist er okay?«
»Ja.«
Ich schaute den Mann an, der mit mir sprach. Er war etwa in meinem Alter und schob ein sehr ausgeprägtes Kinn vor sich her.
Mein Blick verunsicherte ihn.
»Ich weiß, dass ein Mensch gebrannt hat. Im Wagen passierte dies. Was ist mit dem Menschen?«
»Er wurde schon abtransportiert.«
»Tot?«
»Nein, er lebt. Ich denke, dass seine Verbrennungen abheilen werden.«
»Das ist gut. Dann hat Bill ihn wohl gerettet.« Mein Lächeln war mehr nach innen gerichtet. Ich war froh, dass wir zumindest einen kleinen Erfolg erzielt hatten.
Ich wurde auf die Frau angesprochen, die in den Tunnel gelaufen war. »Es gibt sie nicht mehr«, sagte ich. »Sie müssen sie vergessen.«
»Aber es hat sie doch gegeben – oder?«
»Ja. Nun
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